Mit dir an meiner Seite
nicht sehen konnte, wusste sie, dass er Tränen in den Augen hatte, als er zum Haus zurückging.
Dort zog er sich in sein Zimmer zurück und rief sofort seinen Sohn an. Vom Wohnzimmer aus hörte Ronnie, wie er Jonah versicherte, es gehe ihm besser - was Jonah bestimmt falsch deutete. Trotzdem fand sie es richtig. Steve wollte, dass sein Sohn vor allem daran dachte, wie glücklich er im Sommer gewesen war, und nicht immer nur grübelte, was nun bevorstand.
Als Dad am Abend auf dem Sofa saß, schlug er die Bibel auf und begann zu lesen. Jetzt verstand Ronnie natürlich seine Beweggründe. Sie setzte sich neben ihn und stellte die Fragen, die sie beschäftigten, seit sie selbst in der Heiligen Schrift geblättert hatte. »Hast du eine Lieblingsstelle?«
»Sogar mehrere«, sagte er. »Die Psalmen finde ich besonders schön. Und von den Briefen des Paulus habe ich schon viel gelernt.«
»Aber du unterstreichst nie etwas.«
Als er sie fragend musterte, zuckte sie verlegen die Achseln. »Ich habe in deine Bibel geschaut, als du weg warst, und ich habe nichts gesehen.«
Bevor Steve antwortete, dachte er eine Weile lang nach. »Wenn ich anfangen würde, die Passagen hervorzuheben, die mir etwas sagen, würde ich am Schluss wahrscheinlich alles unterstreichen.«
»Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du früher in der Bibel gelesen hast...«, begann Ronnie vorsichtig.
»Weil du noch zu klein warst. Ich hatte sie auf meinem Nachttisch liegen, und ein paarmal in der Woche habe ich darin gelesen. Frag deine Mutter. Sie weiß das.«
»Bist du in letzter Zeit auf irgendetwas gestoßen, was du mir gern vorlesen würdest?«
»Möchtest du denn etwas hören?«
Als Ronnie nickte, brauchte er nicht lange, um die Stelle zu finden, die er suchte.
»Es ist Galater 5, Vers 22«, sagte er und räusperte sich. »Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung.«
Ronnie hörte gut zu und musste wieder daran denken, wie sie sich bei ihrer Ankunft benommen hatte und wie Steve auf ihre Wut reagiert hatte. Er hatte sich auch oft geweigert, mit ihrer Mom zu streiten, selbst wenn sie ihn provozierte. Ronnie konnte sich an mehrere Situationen erinnern. Damals hatte sie das als ein Zeichen von Schwäche gedeutet und sich gewünscht, ihr Vater würde sich anders verhalten. Doch jetzt war ihr klar, dass sie sich geirrt hatte.
Ihr Vater, das begriff sie jetzt, hatte nie nur aus sich heraus gehandelt. Immer hatte auch der Heilige Geist sein Leben beeinflusst.
Der große Umschlag kam am folgenden Tag an. Mom hatte ihre Bitte erfüllt. Ronnie riss ihn auf und schüttete den Inhalt auf den Küchentisch.
Neunzehn Briefe, die Dad ihr geschrieben hatte. Alle ungeöffnet. Sie las die unterschiedlichen Absender: Bloomington, Tulsa, Little Rock ...
Nicht zu fassen, dass sie diese Briefe nicht gelesen hatte. War sie wirklich so wütend gewesen? So verbittert? So ... gemein? Sie wusste die Antwort. Aber sie konnte es trotzdem nicht mehr begreifen.
Sie suchte den ersten Brief. Die Adresse war in sauberen Druckbuchstaben geschrieben, mit schwarzer Tinte, wie bei den meisten. Der Poststempel war schon etwas verblasst. Durchs Küchenfenster sah sie ihren Vater mit dem Rücken zum Haus am Strand stehen. Genau wie Pastor Harris hatte er angefangen, trotz der Hitze langärmelige Hemden zu tragen.
Ronnie holte tief Luft, öffnete den Brief und begann zu lesen.
Liebe Ronnie,
ich weiß gar nicht, wie ich diesen Brief anfangen soll. Im Grunde kann ich nur sagen: Es tut mir alles sehr leid.
Deshalb habe ich dich gefragt, ob wir uns im Cafe treffen können. Und ich wollte es dir am Telefon sagen, als ich später angerufen habe. Ich verstehe, wieso du nicht gekommen bist und warum du am Telefon nicht mit mir sprechen wolltest. Du bist wütend auf mich, du bist enttäuscht, und tief in deinem Herzen denkst du, dass ich weggelaufen bin und dass ich dich und die Familie im Stich lasse.
Ich kann nicht bestreiten, dass sich die ganze Situation verändern wird, und du sollst wissen, dass ich an deiner Stelle wahrscheinlich ähnlich reagieren würde wie du. Du hast das Reckt, wütend auf mich zu sein. Du hast das Reckt, von mir enttäuscht zu sein. Ich habe es verdient, und ich will keine Ausreden vorbringen oder anderen die Schuld geben oder dir einreden, dass du es später bestimmt besser verstehen wirst.
Ehrlich gesagt - vielleicht verstehst du es auch später nicht. Aber das
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