Mit dir an meiner Seite
ist?«
»Nein«, antwortete er. »Weil du etwas sehen kannst, was die normalen Besucher nicht zu Gesicht bekommen. Komm mit.«
Normalerweise würde er in solch einer Situation ein Mädchen ohne Zögern an die Hand nehmen, aber bei Ronnie traute er sich nicht. Er zeigte mit dem Daumen zu einem Flur, der hinten in der Ecke abging und so gut verborgen war, dass man ihn leicht übersehen konnte. Am Ende dieses Flurs befand sich eine Tür.
»Sag jetzt nur nicht, dass man dir hier ein Büro zugeteilt hat.«
»Nein, nein.« Er öffnete die Tür. »Ich habe hier keinen offiziellen Job, erinnerst du dich? Ich helfe nur ehrenamtlich.«
Sie betraten einen großen rechteckigen Raum mit lauter Lüftungskanälen und Dutzenden von frei liegenden Rohren. Neonlampen surrten an der Decke, aber das Geräusch wurde überdeckt von gigantischen Wasserfiltern. Ein riesiges, offenes Aquarium, fast bis zum Rand mit Meerwasser gefüllt, verlieh der Luft ein salziges Aroma. Die Deckenbeleuchtung sorgte für genug Helligkeit, dass man ein sich träge im Wasser bewegendes Lebewesen erkennen konnte.
Will beobachtete Ronnies Gesicht, als sie erkannte, um welche Art Tier es sich handelte.
»Ist das eine Meeresschildkröte?«
»Ja. Eine Karettschildkröte. Sie heißt Mabel.«
Als Mabel an ihnen vorbeischaukelte, wurden auf ihrem Panzer tiefe Narben sichtbar. Außerdem fehlte ihr eine Flosse.
»Was ist ihr zugestoßen?«
»Sie ist vom Propeller eines Bootes erwischt worden. Etwa vor einem Monat wurde sie gerettet. Sie war schon halb tot. Ein Spezialist der Universität von South Carolina musste ihr die Vorderflosse amputieren.«
Mabel war offenbar nicht fähig, genau Kurs zu halten. Sie schwamm in einem schiefen Winkel und stieß immer wieder gegen die Wand, wo sie dann ihre Runden erneut begann.
»Kommt sie durch?«
»Es ist ein Wunder, dass sie bisher alles überstanden hat. Ich hoffe, sie schafft es. Sie ist schon viel robuster als am Anfang. Aber kein Mensch kann sagen, ob sie je wieder fähig ist, im Ozean zu überleben.«
Wieder schrammte Mabel die Wand und korrigierte ihren Kurs. Fragend schaute Ronnie zu Will hoch.
»Wieso wolltest du mir das zeigen?«
»Weil ich dachte, du magst sie genauso wie ich«, sagte er. »Trotz ihrer Narben.«
Über diese Antwort schien Ronnie nachzudenken, entgegnete aber nichts, sondern studierte die Schildkröte schweigend noch ein paar Minuten. Als das Tier dann im Schatten verschwand, seufzte sie tief und fragte:
»Musst du nicht zur Arbeit?«
»Ich habe heute frei.«
»Es hat seine Vorteile, wenn man für den eigenen Vater arbeitet, nicht wahr?« »Könnte man sagen.«
Ronnie klopfte an die Glasscheibe, um sich von Mabel zu verabschieden. »Und - was machst üblicherweise an deinem freien Tag?«
»Ein typischer junger Mann aus den Südstaaten - angeln gehen, in die Wolken gucken. Ich glaube, du solltest eine NASCAR-Mütze tragen und Tabak kauen.«
Sie hatten noch eine halbe Stunde im Aquarium verbracht - von den Ottern war Ronnie besonders begeistert -, dann fuhr Will mit ihr zu einem Angelgeschäft, um ein paar tiefgefrorene Shrimps zu kaufen. Das nächste Ziel war ein unbebautes Grundstück auf der landzugewandten Seite der Insel. Dort holte Will seine Angelausrüstung aus der Staukiste im Truck. Gemeinsam gingen sie zu einer kleinen Anlegestelle, setzten sich dort auf die Mauer und ließen die Füße baumeln.
»Sei nicht so ein Snob«, verteidigte er sich. »Ob du's glaubst oder nicht - die Südstaaten sind super. Wir haben sogar schon fließend Wasser. Und am Wochenende gehen wir zum Mudding.«
»Mudding?«
»Ja, Mudding heißt, wir fahren mit unseren Tracks durch den Matsch. Und machen Rennen.«
Mit gespielt verträumter Miene murmelte Ronnie: »Das klingt so ... so intellektuell.«
Will boxte sie lachend. »Mach dich ruhig über mich lustig. Aber ich sag dir eins - Mudding ist klasse. Das Matschwasser spritzt die gesamte Windschutzscheibe voll, man bleibt stecken, die Räder drehen durch, und der Typ hinter dir wird ebenfalls wunderbar eingesaut.«
»Hey - mir wird schon schwindelig vor Freude, wenn ich nur daran denke«, sagte Ronnie, ohne eine Miene zu verziehen.
»Ich nehme an, in der Großstadt verbringt man die Wochenenden etwas anders, oder?«
Sie nickte. »Kann man behaupten.«
»Ich wette, ihr bleibt immer in der Stadt.«
»Nein, nicht immer. Zum Beispiel bin ich jetzt hier.«
»Du weißt genau, was ich meine. Am Wochenende.«
»Warum sollte ich am
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