Mit dir im Himmel auf Erden
Spätnachmittag war er fast der Alte.
Seit seiner frühen Kindheit hatte Adam mit seinem Vater Schach gespielt. Daran erinnerte er sich gern. Es war der einzige Lichtblick in einer ansonsten schwierigen Vater-Sohn-Beziehung.
Er seufzte leise, weil sein alter Herr eine halbe Ewigkeit über den nächsten Zug nachdachte. Dieser sture Mistkerl. Er war zwar erheblich zerbrechlicher, als Adam ihn in Erinnerung hatte, aber noch genauso unwirsch wie eh und je. Adam hatte gehört, wie er mit der Pflegerin umsprang. Die Frau musste die Geduld eines Engels haben.
Jetzt streckte sein Vater eine knochige Hand aus und zog mit dem Turm. Gelassen bewegte Adam sein Pferd.
Der alte Mann verzog das Gesicht. „Du hast geübt.“
„Ja, hin und wieder.“
„Du warst schon immer zu schlau für mich, mein Junge.“
Adam glaubte, sich verhört zu haben.
„Deine Mutter war auch schlau. Das hast du von ihr geerbt. Du siehst ihr auch ähnlich.“ Lächelnd betrachtete er das Schachbrett. „Eine wunderschöne Frau.“
Adam beobachtete, wie sein Vater sich suchend umsah.
„Ist sie hier?“
„Nein, sie ist nicht hier.“ Nicht die Tatsache, dass der alte Mann so verwirrt war, dass er nach seiner Exfrau fragte, die gestorben war, als Adam gerade zehn Jahre alt war, sondern der Umstand, dass er so niedergeschlagen auf die Nachricht ihrer Abwesenheit reagierte, erschütterte Adam. „Du bist am Zug.“
Sein Vater ließ den Blick in die Ferne schweifen. „Sie hat sich hier nie wohlgefühlt.“
„Ich weiß.“ Adams Mutter hatte die Hamptons stets als Wüste, nicht als Oase bezeichnet. Besonders außerhalb der Saison.
„Wir haben es beide versucht. Es hat nicht funktioniert.“
„Ich weiß.“
Er sah Adam in die Augen. „Sie hat dich mir weggenommen.“
Adam biss die Zähne zusammen. „Ich habe dich besucht. Du hast mir das Schachspiel beigebracht.“
Er lächelte wehmütig. „Du hast es schnell erlernt. Mit sieben Jahren hast du mich zum ersten Mal geschlagen.“
Adam nickte. „Ja, das Spiel verläuft nach Mustern. Die Logik gefiel mir.“
„In Mathematik warst du immer gut. Du hast damit Geld verdient, oder?“
Adam horchte überrascht auf. „Woher weißt du das?“
Doch sein Vater war mit den Gedanken schon ganz woanders. Suchend blickte er sich im Zimmer um. „Um fünf Uhr gibt es Abendessen.“
Als Adam bei einem Blick auf seine Armbanduhr feststellte, dass es zehn Minuten vor fünf war, erschien die Pflegerin aus dem Nichts und verkündete: „Mr. Bryant muss sich jetzt für das Abendessen fertig machen.“
„Um fünf gibt es Abendessen“, wiederholte sein Vater.
„Genau, Mr. Bryant. Sie machen sich jetzt etwas frisch, und dann bringe ich Sie zu Tisch.“ Sie bedachte Adam mit einem einladenden Lächeln. „Leisten Sie Ihrem Vater Gesellschaft?“
„Nein, ich muss einige Telefonate erledigen. Aber ich komme später wieder.“ Er half seinem Vater aus dem Sessel aufzustehen. Überrascht stellte er fest, dass er viel kleiner war, als er ihn in Erinnerung hatte. Edward Bryant war immer ein imposanter Bär von einem Mann gewesen. „Wir müssen unser Spiel noch zu Ende bringen.“
Sein Vater lächelte und klopfte Adam auf den Arm. „Wir spielen Schach, Junge. Ich bringe es dir bei.“
Adam ging spazieren, um sich abzulenken. Er war rastlos, und das lag nicht nur an dem veränderten Wesen seines Vaters. Diese innere Unruhe überfiel Adam mehrmals im Jahr. Wenn es mal wieder so weit war, lenkte er sich meistens durch eins seiner Projekte ab. Oder er fuhr durchs Land und besuchte Freunde. Hin und wieder beschäftigte er sich auch mit neuen, interessanten Investitionsmöglichkeiten.
Die Rastlosigkeit war heute besonders schlimm. Seit er zurückgekehrt war, wurde es immer schlimmer. Es lag nicht an Martha’s Vineyard. Es machte ihm sogar Spaß, seine Lieblingsplätze auf dem Familienanwesen aufzusuchen.
Nein, es hatte mit der Frau zu tun, die über den Wolken schwebte und Geschäftsleute nach Boston flog. Von diesem Auftrag hatte sie ihm erst erzählt, als sie vorhin sicher gelandet waren. Dabei hatte er sich so auf seine sinnliche Rache gefreut.
Enttäuscht gab er ihr einen flüchtigen Abschiedskuss, der kaum widerspiegelte, was das erotische Spiel im Flugzeug mit ihm angestellt hatte. Adam war direkt ins Gästehaus marschiert und stellte sich unter die Dusche. Es war die erste eiskalte Dusche seines Lebens …
Er zuckte zusammen, als plötzlich sein Handy klingelte. Das Geräusch erschien ihm in
Weitere Kostenlose Bücher