Mit dir im Paradies auf Erden
vergangenen Tagen ihre Tabletten gar nicht eingenommen und kaum an ihre Eltern oder die Arbeit gedacht hatte.
Vor dem großen Eingangstor blieb sie unschlüssig stehen. Sollte sie bergauf gehen oder hinunter ins Dorf, wo sich auch der Pub befand, in dem sie Silvester gefeiert hatten? Sie entschloss sich für Letzteres.
Sie war noch nicht weit gekommen, als sie hinter sich ein Auto hörte und zur Seite trat. Es war ein Jeep und am Steuer saß … Sebastian. Er hielt an und ließ die Scheibe runter. „Guten Morgen. Darf ich Sie ein Stück mitnehmen? Wohin möchten Sie denn?“
Welch Ironie des Schicksals! Fleur musste unwillkürlich lächeln. Jetzt befand sie sich genau in der Situation, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. „Vielen Dank für Ihr Angebot, aber ich muss es ablehnen“, erwiderte sie. „Ich bin nämlich dabei, die Gegend zu erkunden.“
Fleur musste schlucken, so intensiv sah Sebastian sie an. Hoffentlich gefiel ihm Mias dick wattierter Parka mit der fellbesetzten Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Doch wie üblich blieben ihr seine Gedanken ein Rätsel, und sie senkte den Blick. „Diese Straße führt doch ins Dorf, oder?“, fragte sie schnell.
„Ja, noch knapp zwei Kilometer, dann sind Sie da. Es gibt dort einige Geschäfte, ein Gemeinschaftshaus und etwas abseits liegt der Pub, den Sie ja bereits kennen. Sehenswert ist vor allem der Fluss, der zurzeit sehr gewaltig aussieht, weil er Hochwasser führt.“ Er machte eine kleine Pause. „Warum fahren Sie nicht eine Strecke mit mir? Zurück können Sie ja dann zu Fuß gehen.“
„Na gut“, meinte sie schließlich zögernd. Ihr Plan, einen weiten Bogen um Sebastian zu machen, war ja ohnehin schon fehlgeschlagen.
Er lehnte sich über den Beifahrersitz, öffnete die Tür und streckte Fleur die Hand entgegen, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Erst nach geraumer Zeit wagte Fleur es, Sebastian von der Seite zu mustern. Er trug derbe Arbeitskleidung, die zu den gepflegten und erstaunlich feingliedrigen Händen, die auf dem Steuer ruhten, nicht so recht passen wollte.
Fleur fand den Gegensatz nicht weiter verwunderlich. Wenn Sebastian auch wie ein Farmer gekleidet und mit Gutsarbeit beschäftigt war, blieb er doch der erfolgreiche Jurist, der seine Herkunft und Erziehung nicht leugnen konnte. Sie seufzte. Warum beschäftigten sie diese Dinge?
Sie wusste es genau. Weil sie einem so interessanten, gut aussehenden, durch und durch sympathischen Mann noch nie begegnet war. Einzig und allein sein Hang zur Selbstherrlichkeit stellte einen deutlichen Makel dar – und selbst der war entschuldbar. Sebastian musste sich sehr unterschiedlichen und dazu äußerst verantwortungsvollen Aufgaben stellen, ein schwächerer Charakter wäre an diesen Anforderungen zerbrochen.
Sein Verhältnis zu seiner Schwester bewies jedoch, wie liebevoll und fürsorglich er von Natur aus war. Einen solchen Bruder hätte sie auch gern gehabt.
„Sie sind so schweigsam. Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.
„Natürlich.“ Fleur blickte auf. „Weshalb fragen Sie?“
„Mia meinte, Sie seien gesundheitlich etwas angeschlagen, deshalb. Mir wäre das nicht aufgefallen.“
Mia konnte manchmal wirklich unmöglich sein. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihre Gesundheit ausgerechnet mit Sebastian zu diskutieren? Wahrscheinlich fühlte er sich jetzt verpflichtet, sie ständig im Auge zu behalten, um bei dem leisesten Alarmzeichen sofort den Notarzt zu rufen.
„Ich war etwas überarbeitet, als ich hier ankam, der übliche Weihnachtsstress eben“, erklärte sie ruhig. „Die Ruhe hier und Pats Kochkünste zeigen jedoch bereits Wirkung. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen um mich zu machen … niemand muss das.“
„Das habe ich auch nicht getan.“
„Dann ist ja gut.“ Fleur sah aus dem Seitenfenster.
Vor der ersten Farm hielt er an. „Hier habe ich ungefähr eine Stunde lang etwas zu tun“, erklärte er, was Fleur störte, denn Sebastian war ihr nun wirklich keine Rechenschaft schuldig. „Etwas weiter auf der Straßenseite gegenüber finden Sie die Geschäfte, und dort zweigt auch ein schöner Wanderweg ab.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Wenn Sie am Fluss entlanggehen, seien Sie unbedingt vorsichtig, der Weg ist sehr matschig und wird stellenweise vereist sein. Ich möchte Sie nicht aus dem Wasser fischen müssen.“
Fleur versagte sich eine Bemerkung. „Danke fürs Mitnehmen“, meinte sie lediglich und stieg aus. Sie
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