Mit dir in meinem Herzen: Roman (German Edition)
erwartungsvoll die Augenbrauen hoch und sah Belinda auf eine Erklärung wartend an. Belinda allerdings zuckte nur mit den Schultern und sagte so leichthin wie möglich: »Ich habe den Welpen am nächsten Tag abgeholt. Sie haben ihn wieder zusammengeflickt. Aber er ist noch schwach. Ich behalte ihn, bis er zu Kräften gekommen ist. Dann bringe ich ihn auf die Farm. Dort kann er bleiben. Also lass die Analyse hören, Doktor Phil – oder begreifst du dich eher als Oprah?« Belinda war um einen Themenwechsel bemüht; auch wenn das nicht ausschloss, dass andere, ebenso heikle Dinge zur Sprache kommen würden.
Stacey ging nur zu bereitwillig darauf ein. »Okay. Du hast die ersten Stadien der Trauer durchgemacht. Und die sind wie folgt: Zuerst kommt das Leugnen – du hast den Hund gekauft, weil du nicht wahrhaben wolltest, dass du gegen Hundehaare allergisch bist. Zweitens …«
»Ich bitte dich, Stacey! Ich kann mir kaum vorstellen, dass das mit ›Leugnen‹ gemeint ist.«
»Lass mich ausreden! Ich habe gerade drei Stunden mit Recherchen verbracht und weiß daher vermutlich etwas mehr über die Sache als du. Also zweitens: Du hast den Hund weggegeben, weil du wütend auf das Tier warst, weil es eine allergische Reaktion bei dir ausgelöst hat. Drittens hast du aus Wut auf den Hund mitten im Stadion einen Anfall gekriegt. Wegen der Allergie natürlich. Und dann, nachdem du den kleinen Hund verletzt wieder aufgegabelt hattest, hast du ihn in eine normale Klinik gebracht und dich mit dem Personal angelegt, weil du wolltest, dass Humanmediziner einen Hund verarzten! Hinterher bist du so deprimiert gewesen, dass du von einem Baum gefallen bist.Anschließend allerdings hast du endlich Andys Tod akzeptiert, was die Sexattacke auf deinen Nachbarn beweist. Wenn das keine Akzeptanz und kein positiver Fortschritt ist, dann weiß ich auch nicht mehr.« Stacey beendete ihre Ausführungen mit einer Verbeugung und einer ausladenden Handbewegung. Sie wirkte ausgesprochen selbstzufrieden.
Belinda konnte nicht anders: Sie verzog das Gesicht zu einem Lächeln und sagte liebevoll: »Das war typisch meine Stacey.« Stacey allerdings wirkte etwas irritiert. Sie hatte ganz offensichtlich emotional gesehen eine eindeutigere Reaktion erwartet. Belinda jedoch lachte nur und umarmte die Freundin. »Danke, Stacey. Ich hatte keine Ahnung, aber heute Abend habe ich dich gebraucht. Ich habe deine Hilfe gebraucht, um mich wieder … normal … zu fühlen.«
Schon während Belinda diese Worte aussprach, begann sich das Gefühl von Normalität zu verflüchtigen. Hatte sie gerade gelacht?, überlegte sie. Schickte sich das an einem Tag, an dem man seinen Verlobten beerdigt hatte? Entschuldige, Andy, entschuldige .
»Gott, ich hoffe, ich habe morgen keinen Kater«, bemerkte Stacey erschaudernd, als Belinda nach der Flasche Scotch auf dem Tisch griff und stirnrunzelnd den Schwund des Inhalts beäugte.
»Also wer ist jetzt in der ›Leugnungsphase‹?«, murmelte Belinda mit einem kläglichen Lächeln.
4
Evelyn
Evelyn saß im Dunkeln in ihrem Wohnzimmer und starrte aus den Erkerfenstern auf die ruhige Vorortstraße. Ihr war leicht übel. Allmählich dämmerte ihr, wie beschämend sie sich beim Begräbnis ihres Sohnes verhalten hatte. Sie war so sicher gewesen, den Tag nur zu überstehen, wenn sie all ihre Wut auf diese dumme Gans konzentrierte. Mittlerweile jedoch kam ihr ihrVerhalten nur noch peinlich und kindisch vor. Zu ihren Gefühlen allerdings stand sie. Lediglich ihre Methoden waren falsch gewesen.
Evelyn hatte eine wunderbare Grabrede aufgesetzt, den freundlichen, liebevollen Charakter ihres Sohnes beschrieben, seine Talente, seinen Sinn für Humor und seine vielversprechende Karriere. Seine Verlobte hatte sie dabei mit keinem Wort erwähnt … bis zur allerletzten Zeile.
»Und abschließend möchte ich euch sagen: Falls ihr euch fragt, wer für AndrewsTod verantwortlich ist – diese Person ist hier, unter uns – sitzt dort in der ersten Reihe.« Daraufhin hatte Evelyn mit dramatischer Geste auf Belinda gezeigt. Die Trauergemeinde hatte mit atemlosem Schweigen reagiert. Der Pfarrer verhaspelte sich anschließend mehrfach bei dem Versuch, den Gottesdienst würdevoll zu beenden.
Zu dem Zeitpunkt hatten Belindas entsetzte, tränennasse Züge Evelyn nicht im Geringsten beeindrucken können. Mittlerweile allerdings war die Genugtuung über ihren vermeintlichen Coup verflogen und einem irritierenden Unwohlsein gewichen. Während des
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