Mit dir in meinem Herzen: Roman (German Edition)
Abschiedswort auf und stürmte aus dem Büro. Andrews Büro lag nur einen Block weit von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Sie kannte den Lebensmittelmarkt, von dem Michael gesprochen hatte. Sie legte den ganzen Weg im Dauerlauf zurück. Als sie den Laden erreichte, hatte sich dort bereits eine Menschenmenge versammelt. Streifenwagen der Polizei und eine Ambulanz parkten vor dem Eingang. Dann entdeckte sie Michael und Belinda in der Menge. Michael war nach ihrem Telefonat offensichtlich ebenfalls zum Lebensmittelgeschäft gesprintet. Evelyn sah Belindas sorgenvolle Miene und fühlte eine Welle der Sympathie. Sie muss ihn ebenso sehr lieben wie ich. Sie klopfte Belinda auf die Schulter und redete kurz beruhigend auf sie ein. Dann drängte sie sich an den Schaulustigen vorbei in den Laden. Eine Polizistin verstellte ihr den Weg.
»Sie können hier jetzt nicht rein, Madam.« Die Beamtin war kaum zwanzig. Für Evelyn ein leichtes Spiel. Ihr Sohn hatte gesagt, er brauche sie, und deshalb gab es für sie kein Pardon. Sie ignorierte die Polizistin, zwängte sich seitlich an ihr vorbei und steuerte auf die Menschenansammlung am anderen Ende des Verkaufsraums zu. Sanitäter knieten neben einer reglosen Gestalt in einer Blutlache auf dem Fußboden.
Sie kam zu spät.
Evelyn erlebte gerade noch, wie ihr Sohn den letzten Atemzug tat, sein Leben aushauchte. Sie sah, wie das Handy aus seinen kraftlosen Fingern glitt. Sie sah, wie ein Zucken durch seinen Körper lief. Im nächsten Moment war es vorbei. Andys leichenblasses Gesicht, der Ausdruck panischer Angst in seinen Augen drohten ihr den Verstand zu rauben. Sie musste sich unwillkürlich abwenden.
Die Sanitäter versuchten, ihn wiederzubeleben. Vergeblich. Die junge Polizistin nahm sie bei den Schultern und führte sie ins Freie. Evelyn verdrängte die Szene, deren Zeugin sie gerade geworden war, verbannte sie in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins – einschließlich jenes Gegenstandes, den sie neben ihrem sterbenden Sohn auf dem Fußboden hatte liegen sehen.
Jetzt in der rauchigen Kneipe fühlte Evelyn, wie ihr erneut der Atem stockte. Bitte, nicht schon wieder!
Sie stand vom Tisch auf und ging in eine abgelegene Ecke. »Was ist los? Was ist mit James passiert?«, fragte sie knapp und eindringlich.
»James ist okay. Mit ihm ist so weit alles in Ordnung … aber … sie haben ihn über Nacht in eine Zelle auf dem Revier Hunters Hill gesteckt. Er durfte einmal telefonieren. Mit dem Anruf hat er mich aus dem Bett geholt. Wusste gar nicht, wie streng die Polizei in dieser Beziehung ist. Ich dachte, das gibt’s nur im Film. Jedenfalls wollte ich dir unbedingt Bescheid sagen. Auch wenn er mir das nie verzeiht. Ich bin auf dem Weg dorthin. Kommst du?«
Evelyn empfand im ersten Moment nur grenzenlose Erleichterung. James war nichts geschehen. »Ist das alles?«, schrie sie gegen den Kneipenlärm an.
»Ev? Hast du getrunken? Was soll das heißen: ›Ist das alles?‹«
»Wenn du schon fragst. Ich hatte ein paar Drinks – aber das tut nichts zur Sache. Wir treffen uns dort. Bye!«
Sie legte auf und ging zum Tisch zurück. Die jungen Leute von SkyChallenge würden von der neuen Wendung ihrer Geschichte mit Sicherheit begeistert sein.
9
Belinda
Belinda kurbelte das Fenster herunter, drehte die Musik auf volle Lautstärke, entspannte sich auf dem Fahrersitz und genoss das Gefühl des Fahrtwinds in ihrem Haar. Normalerweise fuhr sie gern Autobahn. Im fünften Gang und bei einer Geschwindigkeit von 110 Stundenkilometern blieb sie gelassen, mied die Überholspur und nutzte die Monotonie der Strecke zum Nachdenken.
Das Problem war nur, dass sie ständig an Andy denken musste. Das letzte Mal waren sie diese Strecke gemeinsam zu ihrerVerlobungsfeier auf der Farm ihrer Eltern aufs Land gefahren. Andy hatte neben ihr gesessen, genau dort auf dem Beifahrersitz. Er hatte sich eine Portion Knallbrause – das Zeug, das so herrlich kribbelt – in den weit geöffneten Mund geschüttet und sich zu ihr herübergebeugt, sodass die Brause dicht an ihrem Ohr laut knallte und zischte. Sie hatte ihn immer wieder weggeschubst und gelacht, während sie sich mühte, die Spur zu halten und nicht von der Fahrbahn abzukommen.
Sie warf einen Blick zur Seite, auf das leere Polster, und versuchte sich vorzustellen, wie er damals auf der Fahrt ausgesehen hatte. Wie hätte er sich wohl auf diesem Trip verhalten? Vielleicht ihren Bauch gestreichelt und mit den ungeborenen Babys geredet? Ihr vielleicht
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