Mit dir ins große Glueck
ganz sicher, dass es so schlimm ist, wie du sagst? Oder erscheint dir jetzt mit ein bisschen Abstand nicht alles noch grausamer als es damals war?"
"Du glaubst mir nicht." Michaela schien beleidigt zu sein. "Niemand glaubt mir." Verbittert rutschte sie von dem Stuhl herunter und ging zur Tür. "Ich bin ja auch erst neun. Ist ja klar, dass Kinder sich alles nur ausdenken. Und Hunger habe ich auch keinen mehr." Krachend fiel die Küchentür ins Schloss, und wenig später waren Michaelas Schritte auf der Treppe zu hören.
"So ein Mist", schimpfte Gerd vor sich hin. Das hatte er natürlich nicht gewollt. Seufzend schaltete er den Herd wieder aus, stellte die Teigschüssel auf den Tisch und folgte dem Mädchen. Leise öffnete er die Kinderzimmertür. "Micky, darf ich reinkommen?"
"Wenn es sein muss", kam die unfreundliche Antwort vom Fenster her. "Ich dachte, du bist mein Freund, dabei bist du doch nur ein Erwachsener."
"Kann man denn nicht beides sein, erwachsen und Freund?" fragte der Mann sanft. "Schau mich an, Micky, dreh dich doch um, Mädchen. Ich habe keine Lust, mit deinem Rücken zu sprechen."
Widerwillig kam das Mädchen seiner Aufforderung nach. "Und jetzt?"
"Jetzt setzen wir uns auf dein Bett und reden über alles. Einverstanden?"
"Wie du meinst." Michaela setzte sich und stützte den Kopf in die Hände. "Was willst du mir erzählen? Irgendeine Geschichte, mit denen Erwachsene Kinder abzuspeisen pflegen? Aber da bist du bei mir an der falschen Adresse. Was ich weiß, das weiß ich. Und wenn ich sage, dass ich meinen Vater nie wiedersehen möchte, dann kannst du mir das ruhig glauben. Für mich gibt es nur Mami und sonst niemanden."
"Ich glaube dir ja, Micky", versicherte Gerd hastig und legte einen Arm um die Schultern der Neunjährigen. "Kannst du mir vielleicht auch ein bisschen vertrauen? Ich möchte sehr gern dein Freund sein." Er fühlte, wie sich das Kind entspannte.
Micky drehte ihm das Gesicht zu. "Ist das wirklich wahr? Sagst du das nicht nur so daher, damit ich wieder friedlich bin? Das hat mein Vater nämlich auch immer versucht."
"Ich sage es nicht nur so daher. Dann sind wir wieder Freunde?" Er streckte ihr die Hand hin. "Vertrau mir, Micky, ich meine es gut mit euch beiden, und ich will euch helfen."
"Willst du das wirklich? Dann will ich dir jetzt ein Geheimnis anvertrauen. Ich habe einen Brief geschrieben an Tante Frieda von der Zeitung und sie um Hilfe gebeten. Weißt du, wer das ist?"
Gerd bemühte sich, sein Erschrecken nicht allzu deutlich zu zeigen. "Ich habe schon von ihr gehört", antwortete er ausweichend. War jetzt der Augenblick gekommen, wo er Farbe bekennen musste? Sollte er dem Mädchen eingestehen, dass er für einige Wochen Tante Frieda war, dass Mickys Hilferuf nicht ungehört in irgendeinem Papierkorb verschwunden war? Gerd entschied sich dagegen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Zeit dazu noch nicht gekommen war.
"Vielleicht überlegt Tante Frieda ja gerade, wie sie euch helfen kann “, sagte er leise. "Du musst schon in großer Not gewesen sein, um solch einen Schritt zu tun."
Das Mädchen nickte heftig. "Das war ich auch", gestand es ein. "Mein Vater lässt uns einfach nicht mehr in Ruhe. Er will immer nur Geld von uns. Und als er zum letzten Mal hier war, hat Mami ihm einen Scheck gegeben. Trotzdem haben sie sich gestritten, und dann ist er endlich gegangen. Vor ein paar Tagen hat er angerufen und so laut geschrien, dass ich seine Stimme sogar hören konnte, obwohl ich an der Tür gestanden habe. Er ist nur böse. Manchmal denke ich, vielleicht ist er gar nicht mein Vater."
"Denk nicht mehr nach, Micky." Liebevoll strich der Mann über ihre Wange. "Jetzt bin ich da, und ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, um euch beide zu schützen. Doch jetzt lass uns in die Küche gehen und für unser leibliches Wohl sorgen. Schließlich müssen wir bei Kräften bleiben, damit wir deiner Mami beistehen können, wenn sie uns braucht."
Micky war wieder glücklich. In einem plötzlichen Gefühlsausbruch umarmte sie Gerd und hielt ihn ganz fest. "Manchmal denke ich, du müsstest Tante Frieda sein, dann wäre die Welt in Ordnung", sagte sie, ohne zu ahnen, dass ihr Wunsch bereits längst erfüllt worden war. Wieder verpasste Gerd die Chance, dem Kind die Wahrheit zu sagen. Ganz fest hielt er die Neunjährige, und auch er glaubte in diesem Moment, sein Herz müsse stehenbleiben vor
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