Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
jagt.
Sklave will keiner sein.
Als Sklave war es im alten Rom genauso beschissen wie als Dienstmagd an einem Hof im 18. Jahrhundert – und ein Dienstbote hatte es in den 20er-Jahren auch nicht wirklich besser als ein Müllmann in Detroit heutzutage.
Wie schön, dass man sich bei der philosophischen Zeitreise nicht nur die Epoche, sondern auch die Position aussuchen darf.
Was war denn früher besser? Wann genau war früher alles besser? Und lag es vielleicht an den Gesetzen?
Die älteste schriftlich überlieferte Rechtssammlung ist der Codex Ur-Nammu. Sie wurde etwa 2100 vor unserer Zeitrechnung im Auftrag des mesopotamischen Königs Ur-Nammu in sumerischer Sprache verfasst. Jedenfalls bezeichnet sich Ur-Nammu als Gesetzgeber und merkt gleich noch an, dass er den Codex mithilfe des Mondgottes Nanna und auf Befehl des Sonnengottes Utus verfasst und mit dieser Schrift Übel und Gewalt vertrieben und Gerechtigkeit wiederhergestellt habe.
Es muss gut sein, wenn man König ist.
Es ist immer doof, Sklave zu sein.
Vor dieser Zeit haben die Menschen rund zwei Millionen Jahre lang quasi ohne Gesetze gelebt.
Der Mensch hat es also recht lange ohne Staat und ohne niedergeschriebene Gesetze ausgehalten und auch ganz gut überlebt. Zwei Millionen Jahre zu 4100 Jahren. Der Jurist und Rechtshistoriker Uwe Wesel hat das in seinem Buch Geschichte des Rechts aufgeschrieben. Er untersucht dabei neun Gesellschaften, die trotz beträchtlicher räumlicher Entfernung voneinander, und ohne dass sie voneinander gewusst haben konnten, über erstaunlich ähnliche Grundstrukturen verfügt haben: Die Eskimos im Norden Amerikas unterschieden sich hinsichtlich vieler sozialer Gebräuche kaum von den !Kung im Süden Afrikas oder den Walbiri in Australien.
Die Beute wurde gerecht verteilt, die Frauen waren den Männern grundsätzlich gleichgestellt, Konflikte wurden ausdiskutiert. Wenn einer Mist baute, gab es erst einmal große Aufregung, nach einiger Zeit ließ man die Sache auf sich beruhen, und der Täter wurde wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Es funktionierte – ohne geschriebene Gesetze, Verbote und das Androhen von Strafen.
War damals alles besser? Und falls ja: Warum lernen wir nicht davon?
Es kamen Staaten und Gesetze, der Codex Ur-Nammu – und damit setzte eine Kultur des Drohens und Bestrafens ein, die bis heute andauert.
Die erste Gesetzessammlung folgt weitgehend dem Talionsprinzip, was bedeutet, dass versucht wird, ein Gleichgewicht zwischen Schaden und Strafe herzustellen. Die einzelnen Gesetze wurden mit Wenn-dann-Sätzen formuliert, also wusste jeder: Wenn ich das tue, dann erwartet mich diese Strafe. Die Sammlung beschäftigt sich mit den Klassikern Mord, Raub, Erbe, Falschaussage und Körperverletzung ebenso wie mit den Schmankerln Ehebruch, Arztbehandlung und Zinsrecht – aber auch mit Hexerei, Miete für Ochsen und Vernachlässigung der Liegenschaften.
Die einzelnen Gesetze sind einfach, jeder weiß Bescheid. So steht etwa bei Paragraf sechs: »Wenn sich jemand von seiner Hauptfrau scheidet, zahlt er ihr eine Mine Silber.« Auch die anderen Gesetze sind von bestechender Einfachheit, eines besagt zum Beispiel: »Wenn jemand stirbt und keinen Sohn hat, dann soll seine unverheiratete Tochter zu seiner Erbin gemacht werden.« In einem anderen steht: »Wenn jemand die Nase eines anderen Mannes mit einem Messer abgeschnitten hat, dann zahlt er zwei Drittel Minen Silber.« Oder auch: »Wenn jemand in einem Rechtsstreit als Zeuge aufgetreten ist und es ablehnt, seine Aussage zu beschwören, dann zahlt er die Summe an Strafe, um die es in diesem Prozess ging.«
Jeder wusste, worum es ging und warum er bestraft werden konnte. Warum weiß eigentlich heutzutage kaum jemand Bescheid? Warum wird verhandelt wie auf einem orientalischen Basar? Warum streiten heutzutage Anwälte mit Anwälten? Und warum streiten sie weiter, auch wenn es ein Urteil gab?
Die Menschen haben immer neue Gesetze geschrieben, den Codex Lipit-Ischtar etwa, der ungefähr 1880 vor Christus entstanden ist. Es gibt auch den Codex von Eschnunna (etwa 1790 v. Chr.), der dieses Gesetz beinhaltet: »Wenn ein Mann die Nase eines anderen gebissen und abgerissen hat, gibt er eine Mine Silber, für ein Auge eine Mine, für einen Zahn eine Mine, für ein Ohr eine halbe Mine, für eine Ohrfeige zehn Sekel Silber.« Ein Ohr war also nicht so wichtig – oder man dachte: Na ja, das Opfer hat ja noch ein zweites.
Es folgte der Codex Hammurabi, der Höhepunkt
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