Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
erleben sie einen netten Abend mit einer hoffentlich netten Frau.«
Sie kennt natürlich auch die anderen Frauen, die ihre blauen Flecken mit dunklen Strumpfhosen verdecken müssen und von einem Zuhälter in die dunklen Gassen geschickt werden, um für wenig Geld ausgefallene Dinge anzubieten. Die ihre Schulden bezahlen müssen, weil sie ihren Drogenkonsum oder ihre Spielsucht nicht unter Kontrolle bekommen und ihnen kein anderer Ausweg bleibt, als im angeblich ältesten Gewerbe der Welt ein paar Euro zu verdienen. »Das ist schlimm«, sagt sie, »aber es gibt in jedem Beruf positive und negative Aspekte – und es gibt unterschiedliche Gründe, warum sich jemand für den Beruf entscheidet. Oder ihn machen muss. Glaubst du, ein Finanzbeamter ist als Neunjähriger zu seinem Vater gegangen und hat gesagt: ›Papa, ich werde Finanzbeamter!‹ Er musste Geld verdienen, der Job war da – also macht er ihn. Warum bist du Journalist geworden?«
»Weil ich dachte, dass ich das gut kann.«
»Und wenn du weniger verdienen würdest?«
»Keine Ahnung!«
»Tu nicht so selbstgefällig, als hättest du deine Berufung gefunden oder als hätte dir Gott eingeflüstert, dass du das machen sollst. Es ist ein Beruf, er macht dir hoffentlich Spaß, und du verdienst Geld.«
»Ja.«
»Und in Zeiten, in denen es nicht läuft, tröstest du dich damit, dass du mehr verdienst als andere und dass es immer noch besser ist, als arbeitslos zu sein oder einen anderen Job zu machen.«
Der Presslufthammer ist ganz schön am Hämmern.
»Bei mir ist das ähnlich«, sagt sie. Keine schlimme Kindheit, kein Drogenproblem, keine Geldsorgen. Ein Job, der gut bezahlt ist und ihr Spaß macht.
Es ist wie schon beim Pokerspieler und dem Drogendealer: Sie macht das nicht, weil sie hineingerutscht ist oder weil sie dringend Geld braucht, um ihren Sohn zu versorgen oder die Pflege für die kranke Oma zu bezahlen. Sie macht es, weil es ihr Spaß macht und weil sie damit sehr viel Geld verdient: Eine Verabredung mit ihr kostet, je nachdem, was am Ende passiert, bis zu 4000 Euro. Sie will nicht verraten, wie viel davon sie behält, doch offensichtlich reichen ihr drei Verabredungen pro Monat, um ein gutes Leben führen und eine Wohnung in einem der teuersten Viertel dieser Großstadt bezahlen zu können. »Meistens habe ich fünf, weil ich ein sehr gutes Leben führen will und etwas sparen möchte, um später mal einen eigenen Salon für Wellness und Kosmetik zu eröffnen. Ich meine, für meinen Beruf gibt es ein Ablaufdatum – wie für Fußballer auch.«
Irgendwann, das ist ein Zeitpunkt in der Zukunft, den sie noch nicht kennt. Sie schreibt schon Businesspläne und entwirft die Einrichtung, aber nur, weil sie an mehr als 20 Tagen im Monat nicht arbeiten muss und Zeit hat, ihre Zukunft schon jetzt zu gestalten.
Ihr hat das Prostitutionsgesetz geholfen, sagt sie. Das ist am 1. Januar 2002 in Kraft getreten und sollte dafür sorgen, die Prostitution aus der rechtlichen Grauzone heraus- und in die Sozialversicherung hineinzuholen. »Ich persönlich habe einen Arbeitsvertrag, ich kann meinen Lohn einklagen, und ich bezahle auch in die Sozialversicherung ein. Ich könnte mich sogar arbeitslos melden.«
Sie ist ein seltener Fall, denn für die meisten Frauen haben sich die Hoffnungen, die sie in das Gesetz setzten, nicht erfüllt. Viele von ihnen sind nach wie vor Tagelöhnerinnen, auf eine Rentenversicherung verzichten fast alle. Anrufe bei Arbeitsämtern bestätigen, dass kaum eine Frau jemals dort vorstellig geworden sei und gefordert habe, ihr Arbeit in diesem Gewerbe zu vermitteln und Arbeitslosengeld zu bezahlen.
Im Gegenteil: Nicht wenige Frauen halten das Gesetz für eine Verschlimmerung der Situation. Davor hätten die Behörden wenigstens weggesehen, doch nun würden Formulare und Steuerforderungen den Beruf kompliziert machen. Und welche Frau gibt schon gerne an, als Prostituierte zu arbeiten und diesen Beruf womöglich ein Leben lang in der Akte vermerkt zu haben?
Immerhin hat das Gesetz dafür gesorgt, dass seriöse Geschäftsmänner das Gewerbe mit den hohen Gewinnspannen entdeckt haben. Die Arbeitgeber sind nicht mehr unbedingt Halbweltmänner, die nebenher einen Boxstall betreiben oder mit Waffen handeln oder Drogen verkaufen. Es sind Kaufleute, die Geld verdienen möchten und die wissen, dass so etwas vor allem dann möglich ist, wenn man seinen Arbeitnehmern vernünftige Bedingungen bietet.
Carlos Obers etwa war einmal Präsident des Art
Weitere Kostenlose Bücher