Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
an«, sagt Inna Schewtschenko, eine der Gründerinnen von Femen .
Das Mädchen war nicht bei Inna Schewtschenko. Sie war bei Lisa Fithian, sie ist bereit. »Wenn wir nicht protestieren, dann wird sich nie etwas ändern«, sagt sie. »Wenn Politiker nicht erkennen, dass es den Leuten nicht passt, was sie da machen, dann machen sie einfach weiter.« Sie wirkt trotzig, aber auch ein wenig resigniert, weil ihrer Meinung nach hierzulande nicht genügend Leute mitmachen. »Es gibt in Deutschland keine Lisa Fithian. So ein Protest wirkt immer unorganisiert, fast ein wenig peinlich – und dann kommt es zu Szenen wie am Vortag.« Sie sei geschubst und geschlagen worden und habe auch Spray ins Gesicht bekommen: »Es gab keinen Plan, es gab keine Strategie – weder von den Protestierenden noch von der Polizei. Beide Seiten waren gleichermaßen schuld.«
Sie ist auch ein wenig genervt von den Motiven der Marschierer in Stuttgart: »Die Menschen protestieren immer nur, wenn es sie ganz persönlich betrifft. Erst wenn das eigene Haus an Wert zu verlieren droht, kommen sie.« Sie erzählt von der sogenannten protestierenden Solidarität in den USA und anderen Ländern, die hierzulande kaum bekannt ist. Das bedeutet, dass Menschen – obwohl es sie nicht selbst betrifft – bei einem Protest mitmachen, weil sie von der Sache überzeugt sind. Ben Rattray hat im Jahr 2007 auf eine Karriere als Investmentbanker verzichtet und stattdessen die Internetplattform change.org gegründet. Auslöser dafür waren die Reaktionen auf das Coming-out seines homosexuellen Bruders. Rattray erkannte, dass das Internet eine herausragende Mobilisierungsplattform für die Wütenden dieser Welt ist, weil sich rasch Gleichgesinnte finden lassen, die gerne mitprotestieren oder sich zumindest solidarisieren.
Rattray hatte Erfolg mit seiner Idee, Mitte 2012 sind fast 150 Menschen in seinem Unternehmen angestellt; die mehr als 17 Millionen Nutzer haben etwa 230000 Petitionen eingestellt – einige davon waren erfolgreich: Im Februar 2012 etwa erschoss der hellhäutige George Zimmermann in Florida den Afroamerikaner Trayvon Martin. Change.org forderte die Eltern des Opfers auf, den Schützen anzuklagen, insgesamt 2,278 Millionen Menschen unterzeichneten die Petition online innerhalb weniger Tage – Zimmermann musste sich vor Gericht verantworten. In einem anderen Fall ging die Plattform gegen die Kontoführungsgebühr der Bank of America vor. Es gab mehr als 300000 Unterzeichner, die Bank knickte ebenso ein wie die Regierung von Südafrika. Dort forderte eine Frau auf change.org härtere Gesetze gegen Gewaltverbrecher, nachdem ihre lesbische Freundin mehrfach vergewaltigt worden war beim chauvinistischen Versuch, die Frau von ihrer Neigung zu »heilen«. Mehr als 170000 Menschen unterschrieben, die Server der südafrikanischen Regierung brachen zusammen, die Gesetzesänderung wurde sogleich eingeleitet.
Natürlich lebt die Webseite davon, dass sie als Gewissensberuhigung für alle Schönwetterrebellen dient: Man muss nicht kämpfen, man muss nicht marschieren, man muss sich nicht ausziehen, man muss keine Autos blockieren. Man muss noch nicht einmal das Wohnzimmer verlassen.
Ein Klick auf die Petition gaukelt dem Gewissen vor, etwas unternommen zu haben gegen die Ungerechtigkeit in der Welt.
Das klingt pervers, doch der Erfolg gibt diesen Seiten recht, zumal da immer noch genügend Menschen sind, die nicht einmal einen Mausklick schaffen, sondern das Leben hinnehmen wie ein Faultier.
Protest kann erfolgreich sein. Eine Demonstration ist kein sinnloser Marsch einiger weniger, die nichts Besseres zu tun haben. Eine Petition ist nicht die Forderung einiger Verrückter ohne Aussicht auf Erfolg. Wir haben tatsächlich die Chance, die Welt zu verändern – und das Internet gibt uns die Möglichkeit, uns überall auf diesem Planeten einzumischen. Das ist womöglich die größte Chance auf Veränderung, die die Menschheit jemals hatte.
Das Schlimmste im Leben eines Menschen ist die Resignation. Wenn er für sich entscheidet, dass er nichts mehr beizutragen hat, dass er keine Chance hat, noch etwas zu ändern für sich und die Welt. Aus dieser Resignation entsteht ein Fatalismus, alles als gegeben hinzunehmen – und höchstens darüber zu lamentieren, dass »die da oben« sowieso machen würden, was sie wollen, und dass der Einzelne doch ohnehin keine Chance habe, etwas zu verändern.
Viele von uns sind mit dem Glauben aufgewachsen, dass sie die Welt
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