Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
verändern könnten – und wenn schon nicht die ganze Welt, dann zumindest den kleinen Kosmos, in dem sie sich bewegen. Man kann ja nichts dafür, dass die Welt so ist, wie sie ist. Man kann aber sehr wohl etwas dafür, wenn sie morgen immer noch so ist wie heute.
Ob man nun im Internet eine Petition unterschreibt, für seine Überzeugung an einer Demonstration teilnimmt oder sich gar von Lisa Fithian zum Protest-Profi ausbilden lässt: Alles ist besser, als apathisch daheim rumzusitzen und gar nichts zu tun. Und sich gar selbst zu bemitleiden.
Es ist nicht nur eine Möglichkeit für uns, gegen Unrecht zu protestieren – es ist unser Recht und gar unsere Pflicht. Ob unser Protest dann erfolgreich ist, das ist erst einmal nicht entscheidend. Wir müssen uns an dieser Gesellschaft beteiligen, wenn wir mitbestimmen wollen, in welche Richtung sie sich entwickelt. Natürlich kann man sich auch resigniert zurückziehen und das Steuern denen überlassen, die glauben, das ganz prima zu können. Und darauf warten, dass etwas passiert. Und dann darüber motzen, dass man ein neues Leben bräuchte.
Wir können aber auch unseren Hintern auf die Füße stellen und einen Fuß vor den anderen setzen. Wir brauchen kein neues Leben. Wir können dafür sorgen, dass wir mal an einem besseren Ort sterben.
Und manchmal funktioniert das tatsächlich: An diesem 1. Oktober 2010 bin ich zufällig in eine Demonstration geraten. Ich bin mitgelaufen, weil mich der Protest angezogen hat und weil die Menschen nett zu mir waren. Ich habe dadurch gelernt, dass es nicht nur »Wutbürger« sind, die da protestieren, sondern Menschen, die an eine Sache glauben und dafür eintreten. Ich habe ganz wunderbare Menschen kennengelernt an diesem Tag.
Es war ein zufälliger Protest – doch wie es derzeit aussieht, könnte er tatsächlich erfolgreich sein. Damit würde sich meine persönliche Erfolg-Demonstrations-Quote auf eins von drei erhöhen. Und endlich hätte ich es geschafft, eine unsinnige Sache zu stoppen.
Ich bin mir sicher: Ich schaffe in meinem Leben noch mehr als 50 Prozent!
Kapitel 34
Was brauchst du?
Es gibt eine Frage, die wahrscheinlich jeden Menschen in Deutschland schon mindestens ein Mal beschäftigt hat. Es geht nicht um die Aufstellung der Fußballnationalelf beim nächsten Länderspiel und auch nicht darum, wer das neue Topmodel werden soll. Und natürlich nicht darum, ob Deutschland in der EU bleiben sollte. Die Frage ist viel einfacher – und weil die Beantwortung einfacher Fragen meist sehr kompliziert ist, ist die Beantwortung dieser Frage quasi unmöglich.
Die Frage lautet: Was brauche ich?
Bertolt Brecht hat dazu ein Gedicht geschrieben, das »Der Zettel des Brauchens« heißt. Es geht so: »Viele kenne ich, die laufen herum mit einem Zettel / Auf dem steht, was sie brauchen. / Der den Zettel zu sehen bekommt, sagt: das ist viel. / Aber der ihn geschrieben hat, sagt: das ist das wenigste. / Mancher aber zeigt stolz seinen Zettel / Auf dem steht wenig.«
Was brauchst du?
Versuchen Sie es mal: Schreiben Sie auf einen Zettel die Dinge auf, die Ihnen niemand wegnehmen darf!
Es gibt auf diesem Planeten sieben Milliarden Menschen – und wahrscheinlich gibt es im Brecht’schen Sinne auch sieben Milliarden verschiedene Zettel, auf denen jeder einzelne Mensch seine ganz persönlichen Bedürfnisse notiert hat. Wir alle dürfen nach dem persönlichen Glück streben – und wenn wir es gefunden haben, dann dürfen wir es behalten oder uns darüber beklagen, warum es nicht größer ist. Denn entscheidend ist ja nicht nur, was auf dem Zettel notiert ist, sondern auch: Wie viel davon hat der einzelne Mensch schon?
Wir in Deutschland haben es eigentlich ganz gut getroffen. Also sollten wir doch glücklich und zufrieden sein. Wenn jedoch Forscher in der Welt herumreisen und das glücklichste Volk der Welt suchen, dann finden sie es meist in Ländern, in denen der durchschnittliche Deutsche nicht einmal begraben sein möchte: in Tansania, in Bangladesch oder auf den Philippinen. Wahrscheinlich leben die glücklichsten Menschen der Welt in Nordkorea, aber das können die westlichen Forscher nicht herausfinden, weil sie so selten nach Nordkorea fahren und Leute nach ihrem Glück befragen dürfen.
Nehmen wir einmal an, Sie dürften mit einem Gesetz bestimmen, welche Dinge man einem Menschen keinesfalls wegnehmen darf. Welche Dinge würden Sie in dieses Gesetz schreiben?
Das Lustige: Es gibt dieses Gesetz schon. Zwei Mal
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