Mit einem Bein im Modelbusiness
500 Euro. Der Kunde hatte natürlich viel mehr für mich bezahlt – in dem Fall waren es 1500 Euro, aber plötzlich fing in der Agentur alles an, Geld zu kosten: Mein Auftritt auf ihrer Internetseite, meine Sedkarten, dieses, jenes und natürlich noch die Provision von 25 Prozent. Es ist immer das gleiche Spiel. Du siehst auf deiner Abrechnung ganz oben einen Betrag, der dir eigentlich gute Laune macht, aber dann kommen an der Seite all die Spiegelstriche mit den fetten Minuszeichen dazu. Unter dem letzten Strich bleibt am Ende eine Zahl stehen, die jedem zweitklassigen Barkeeper lediglich ein müdes Gähnen entlocken würde.
Ich musste an die Studenten denken, die ich bei HUGO BOSS kennengelernt hatte. Sie erzählten mir, dass der höchste Betrag, der an diesem Abend für ein männliches Model bezahlt wurde, bei 16 000 Euro lag. Ich vergaß fast zu atmen, als ich das hörte. Zugegeben, dieser Junge ging schon gut ab: Entdeckt von Mario Testino, was schon mal die Hälfte seiner Gage ausmachte. Dazu zierte sein Gesicht schon jedes gottverdammte Magazincover dieser Welt, und kampagnenmäßig konnte er auch alles vorweisen, was Rang und Namen hatte – das Paradebeispiel eines Topmodels!
Das wollte ich auch. Es mussten ja nicht gleich 16 000 Euro sein, aber wenigstens so viel, dass man gut davon leben konnte. Die Preispolitik wurde mir so erklärt: » Für Katalog-Shootings bekommst du zwar am meisten Geld, kannst die Fotos später aber nicht für deine Mappe verwenden, da sie zu schäbig sind. Magazine wie FELD Hommes bezahlen gar nichts, und von der Vogue gibt es vielleicht 200 Euro, wenn du Glück hast. Also, gewöhn dich besser daran!« Woran sollte ich mich gewöhnen? Arm zu bleiben? Und im gleichen Atemzug bekam ich von allen Seiten immer wieder zu hören, dass ich kein Laufsteg-, kein Katalog-, sondern eher der Editorial-Typ sei. Na super! Das waren ja tolle Aussichten! Ich werde also mein ganzes Leben lang keinen einzigen Euro verdienen, aber hey, wenigstens kann ich meine zukünftige Hartz-4-Wohnung dann mit schönen Fotos von mir tapezieren.
» Weißt du, Mario«, sagte mir einmal ein anderes Model aus meiner Agentur. » Alle beneiden dich um deine geilen Fotos. Du bekommst immer diese Hammer-Shootings und ständig neue Editorials. Und ich? Scheiße, Alter, ich muss Kataloge für Aldi und Quelle machen.«
» Worüber beschwerst du dich eigentlich? Du hast einen Tagessatz von 3000 Euro, den du auch bezahlt bekommst. Ich krieg 50 Euro, ’ne Fahrkarte für die U-Bahn und einen lauwarmen Filterkaffee. Bist du sicher, dass du immer noch mit mir tauschen willst? Willst du nicht!«
» Aber dafür hast du wenigstens die Aussicht auf eine Kampagne, die ich niemals haben werde. Mit meiner Mappe habe ich keine Chance.«
» Dafür hast du Geld auf dem Konto. Ich nicht!«
» Fuck, Alter! Da haben wir beide schön die Arschkarte gezogen, was?«
» Abwarten!«
Mir war schon klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Um an Kampagnen zu kommen, musst du dir in der Branche erst einen Namen machen, und den bekommst du nur – falls du nicht gerade von Karl Lagerfeld oder Vivienne Westwood entdeckt wirst –, indem du auf den Modenschauen in Paris und Mailand läufst. Run, Forrest … äh … Mario, run!
Doch schon der nächste Gedankengang gefiel mir ganz und gar nicht, denn mir wurde bewusst, dass ich gar nicht richtig laufen konnte und die hohen Anforderungen in Mailand und Paris sowieso niemals erfüllen könnte. Ich steckte in einer Zwickmühle. Wie ich es auch drehte und wendete, am Ende blieb ich immer der Verlierer. Es musste doch einen Ausweg aus dem Dilemma geben – meinen Weg! Doch ich sah ihn einfach nicht. Noch nicht!
Mittlerweile hatte sich diese ganze Geschichte bei meinen Kumpels zu einem echten Running-Gag entwickelt: Mario macht hier schwer einen au f Supermodel, aber wir dürfen ihm am Wochenende die Drinks bezahlen, weil er wieder mal pleite ist! Ich wusste ja selbst am besten, wie gaga das alles war. Trotzdem wollte ich nicht so einfach aufgeben. Dafür war es ohnehin längst zu spät.
Was ist Schönheit?
Ich saß am Esstisch meiner kleinen Küche und starrte aus dem Fenster. Wie so oft, wenn ich mal wieder nichts mit mir anzufangen wusste. Ich beobachtete die vielen Autos, die sich langsam der großen Kreuzung näherten. Sie kamen an, warteten kurz und fuhren weiter – ohne Ausnahme! Für alle sprang die Ampel irgendwann auf Grün um, nur bei mir blieb sie konstant auf Rot stehen. Was hatte
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