Mit einem Bein im Modelbusiness
vielen kleinen Abenteuer, die sich permanent ergaben, viel zu reizvoll. Die meisten Mädchen waren auf meiner Schule, oder es waren Freundinnen von Leuten, die ich kannte. Wahrscheinlich bin ich nie in Situationen gekommen, in denen ich Ablehnung erfahren musste, weil die Menschen, mit denen ich mich umgab, fast immer über mich im Bilde waren. Ohne es zu wissen, hatte ich über all die Jahre mein Unterbewusstsein so scharf trainiert, dass ich diejenigen, die meiner Behinderung feindselig gegenüberstanden, erst gar nicht in meine Nähe ließ. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass ich wirklich nie auch nur eine negative Erfahrung machen musste. Vielleicht ist es ein Phänomen meiner Generation oder speziell meines Umfelds, dass alle so tolerant waren. Oder ich bin einfach nur ein Glückskind.
Lea
Dann kam Lea. Wir lernten uns auf einer Einweihungsparty eines gemeinsamen Freundes kennen. Vorgestellt wurden wir einander nicht, aber seit dem Moment, an dem sich unsere Blicke das erste Mal trafen, ließen wir uns nicht mehr aus den Augen. Und dann, als hätte sie meine Gedanken gelesen, stand sie plötzlich mit zwei Flaschen Bier vor mir und lächelte mich an.
» Hi, ich bin Lea.«
» Hi Lea, ich bin Mario«, sagte ich wie paralysiert.
Die Stunden vergingen wie im Flug, und als ich irgendwann aus meinem Tagtraum erwachte, spürte ich auch schon ihre Lippen auf meinen. Sie hatte sofort die Kontrolle übernommen, und je später der Abend, desto tiefer wanderte ihre Hand. Mittlerweile waren wir auf dem Wohnzimmersofa gelandet. Die anderen Menschen störten uns nicht. Ich nahm sie ohnehin kaum wahr. Dann kam der kritische Moment. Lea berührte die Orthese und zuckte für einen kurzen Moment erschrocken zurück. Auf einen Schlag war ich wieder voll da. Sie schaute mich mit großen Augen an, sagte nichts. Ich zählte die Sekunden: einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … eine halbe Ewigkeit verging. Ich schloss meine Augen und hätte mich am liebsten weggebeamt, egal wohin, nur weit weg von diesem Ort.
Da Lea auf eine andere Schule ging als ich, konnte sie nichts von meinem Handicap wissen, und wir hatten auch noch nicht genug getrunken, um die Situation lässig zu überspielen. Das war’s jetzt, dachte ich.
» Was hast ’n da?«, fragte Lea schließlich.
Was antworte ich jetzt bloß?, schoss es mir durch den Kopf. Irgendwas Kurzes. Bloß keine langen Erklärungen.
» Och, nur ’ne Behinderung«, winkte ich cool ab.
» Okay«, zuckte sie gleichgültig mit den Schultern und zog meinen Kopf wieder an sich.
Okay? Ich kam gar nicht mehr klar! Vielleicht dachte sie ja, ich hätte mich beim Sport verletzt und würde jetzt eine Art Gipsverband tragen. Es schien sie nicht weiter zu beschäftigen. Auch als wir Tage später in meinem Bett landeten, schaute sie nur kurz, als ich die Orthese abnahm, verlor dann aber kein einziges Wort darüber, so, als wäre das alles völlig normal. Und das mit siebzehn. Ich war total beeindruckt.
Sie hätte auch leicht sagen können: » Mario, sorry, aber wieso hast du mir das nicht schon eher gesagt? Nix gegen dich, aber das ist mir echt eine Spur zu heftig. Ich glaube, ich gehe dann jetzt.«
Ich hätte es ihr nicht mal übel genommen, wenn sie gegangen wäre. Doch sie blieb und gab mir von der ersten Sekunde an das Gefühl, dass es ihr völlig schnurz war, ob ich ein, zwei oder drei Beine hatte. Das gefiel mir. Lea gefiel mir.
In den kommenden Monaten gingen wir Eis essen, ins Kino, in den Park, machten romantische Spaziergänge an der Alster, und ohne es zu merken, zappelte ich wie ein Fisch in ihrem Netz. Irgendwann rief mich Danzko an.
» Yo Digga, thank god it’s friday! Was geht heute Abend?«
» Ich koche mit Lea bei meinen Eltern.«
» Was machst du?«, prustete er ins Telefon.
» Na, ich koche mit Lea bei meinen Eltern«, wiederholte ich.
» Scheiße, Alter. Weißt du, was das bedeutet?«
» Was ’n los? Man kann doch auch mal was anderes machen, außer die ganze Zeit zu saufen.«
» Ja klar, du Nullchecker!«, lachte Danzko mich aus. » Mario, du bist so was von naiv. Die ganze Welt weiß, was Sache ist, nur du stehst mal wieder voll auf ’m Schlauch. Lea und du – ihr seid längst zusammen.«
» Red doch keinen Scheiß, Alter! Nur weil ich ab und zu ein bisschen auf Romance mache, sind wir noch längst kein Paar.«
» Mario, du kannst so viel reden, wie du willst. Ihr segelt ohnehin schon längst mitten auf dem Meer.«
» Was redest du denn für
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