Mit einem Bein im Modelbusiness
war einfach nur so, dass diese Damen mir mit jeder Handlung demonstrierten, wie egal ich ihnen war. Für sie war ich ein Niemand, also konnten sie mich auch wie Luft behandeln.
Ich warf einen schnellen Blick auf die Zettel: Adressen, Uhrzeiten, Namen von Designern und Firmen, von denen ich noch nie gehört hatte.
» Hast du einen Stadtplan?«, unterbrach sie meine Gedanken.
» Äh, nein. Ich wollte eigentlich …«
Sie öffnete eine Schublade.
» Hier hast du eine Map!«
» Danke.«
» Hast du ein Handy?«
» Ja.«
» Besitzt du schon eine italienische SIM -Karte?«
» Nein.«
» Okay, hier!«
Sie hielt sie bereits in ihren Händen.
» Und das ist deine Nummer.«
Sie legte das Zettelchen zusammen mit der SIM -Karte auf den Stadtplan.
» Danke«, sagte ich höflich und steckte alles ein.
» Na dann, viel Spaß in Milano!«
» Hmm, wo muss ich denn jetzt hin?«, fragte ich etwas hilflos.
» Du hast doch die Karte mit den Adressen deiner Castings! Am besten du suchst dir die jetzt raus und organisierst dich. Ciao, Mario!«
Ich schlurfte wieder an meinen Platz zurück und versuchte, mich irgendwie mit diesem Stadtplan anzufreunden und mir die Straßen anzustreichen, aber ich kam überhaupt nicht klar. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich die erste von neun Adressen gefunden hatte. Ja, das war die gute Nachricht: Ich wurde direkt am ersten Tag in Mailand zu neun Castings geschickt. Es kam genau so, wie Peter es vorhergesagt hatte.
» Mario!«, hörte ich auf einmal Manuela aus der anderen Ecke des Raumes rufen. » Wieso bist du noch hier? Dein erstes Casting ist um 13 Uhr! Du hast noch eine Viertelstunde, um da hinzukommen. Hast du alles?«
» Nein!«, rief ich hilfesuchend zurück. » Ich brauche noch ein bisschen. Dieser verdammte Stadtplan!«
Sie stand auf und kam mit schnellen Schritten zu mir herüber, schnappte sich die Karte und hatte nach fünf Minuten alles für mich erledigt. Sie suchte mir sogar die richtigen Bahnverbindungen heraus.
» Und jetzt hopp, hopp, mach dich auf den Weg!«, befahl sie mir mit einem strengen, aber herzlichen Blick. » Wir können heute Abend telefonieren.«
Gemeinsam mit einem anderen Jungen verließ ich die Agentur. Auf dem Weg zur U-Bahn kamen wir ins Gespräch.
» Willst du deine Castings alleine machen?«, fragte er.
» Keine Ahnung. Ist mein erster Tag in Mailand. Ich gehe einfach überallhin, und dann sehe ich ja, was passiert.«
Ich wusste, ehrlich gesagt, nicht so richtig, was er von mir hören wollte.
» Sag mal, ist es okay für dich, wenn ich bei dir mitkomme?«
» Ich weiß nicht«, meinte ich. » Also, klar kannst du mitkommen, aber du hast doch bestimmt andere Castings als ich, oder?«
Vom Typ war er der Latin Lover: schwarze Haare, braune Augen, kaffeefarbene Haut. Kurz: der kleine Bruder von Enrique Iglesias und genau das Gegenteil von mir.
» Das ist völlig egal«, winkte er ab. » Es ist so: Wir bekommen alle unterschiedliche Castings, aber am Ende ziehen wir doch das meiste gemeinsam durch.«
» Echt?«
» Ja, na klar. Wenn ich ein Casting bei Gucci bekomme, sag ich sofort meinen Jungs Bescheid und nehme sie mit. Und sie machen das auch. Das ist normal.«
» Wie geil! Gut zu wissen. Na dann, gehen wir zusammen.«
» Ja, super.«
» Jetzt müssen wir uns aber beeilen. Wie heißt du eigentlich?«
» Romeo.«
» Du verarschst mich!«, grinste ich.
» Nein, wieso?«
» Hehe. Egal. Let’s go!«
Es ist nicht ungewöhnlich, dass am Ende tatsächlich ein Junge gebucht wird, der gar nicht eingeladen wurde. Das Prinzip ist ja immer das gleiche: Der Kunde sagt der Agentur, dass sie für ihr Shooting ein blondes Model suchen, also schickt die Agentur ihre Blonden los. Dann sieht der Designer plötzlich einen Jungen, findet ihn perfekt und bucht ihn vom Fleck weg, obwohl er braune Haare hat und einfach » nur so« mit zum Casting kam. Das passiert sogar ziemlich oft. Viele Booker haben davon keinen Plan. Die sitzen den ganzen Tag vor ihren Schreibtischen und wissen oft gar nicht, was wirklich zwischen Model und Kunde passiert.
Das Mailänder System, dass die Models sich untereinander helfen, hat mir sofort gefallen. Es geht ja auch darum, Spaß zu haben. Zum einen bist du mit den Jungs zusammen, kannst Faxen machen und gemeinsam durch die Straßen ziehen, und zum anderen hast du de facto auch wirklich mehr Castings. Diese Denkweise unterscheidet sich übrigens kolossal von der der weiblichen Models. Bei den Mädchen wäre das
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