Mit einem Bein im Modelbusiness
Das war ein richtig geiles Teil, so eine Art Strandbuggy. Ich hatte damals zwar schon meinen Führerschein, aber wegen meiner Orthese kann ich nur Automatik mit Umbau fahren, und da ich ein kleines Faultier bin, hieß es für mich: Strand, Bier und Hängematte. Leider hat es am Anfang recht oft geregnet. Ich bin aber trotzdem in kurzer Hose und Muskelshirt rumgelaufen. Hey, bist du noch da?«
» Jaja, ich hör dir gespannt zu. Nicht aufhören bitte.«
Meine Gedanken schweiften ab. Was hatte sie vorhin nur gemeint, als sie sagte, wir seien uns ähnlich. Womit ähnlich? Was war nur los mit diesem Mädchen? Welches Geheimnis trug sie mit sich herum?
Ich seufzte.
» Was ist los?«, flüsterte sie.
» Ach, nichts.«
» Wirklich?«
» Ja, wirklich!«
» Und, erzählst du weiter?«, sagte sie lächelnd.
Ich lächelte zurück.
» Eigentlich müssten wir uns jetzt küssen, Mario.«
» Maia, hör mal, ich kann dich nicht küssen«, sagte ich sofort. Warum auch lange um den heißen Brei herumreden? Vielleicht war es sogar ganz gut, das jetzt schon mal klarzustellen, nicht dass es später zu Missverständnissen kommen würde. So hübsch Maia auch war, ich hatte Lea noch nie betrogen und beabsichtigte auch nicht, damit anzufangen.
» Ich weiß, Mario. Ich verstehe warum, obwohl wir beide …«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Das musste sie auch nicht. Ich lächelte verlegen und wollte gerade etwas erwidern, als sie den Finger gegen ihren Mund presste.
» Pssst.«
Puh!
» Erzähl lieber weiter!«, sagte sie.
Ich war froh, dass wir das geklärt hatten. Es dauerte ganze zwei Atemzüge, um die Bilder von Brasilien wieder vor mein geistiges Auge zu holen.
» Morgens habe ich immer auf der Veranda in der Hängematte gechillt und ein Buch gelesen. Am ersten Tag war noch alles normal, aber irgendwann am zweiten oder dritten Tag kamen die Äffchen aus dem Dschungel dazu und hingen mit mir ab. Die waren total zahm, überhaupt nicht aggressiv oder so, richtige Chiller. Jeden Morgen legte ich ihnen eine Banane neben meine Hängematte, die sie auch immer brav abholten. Das war echt schön. So konnte man es aushalten. Wo sonst sollte man dem Sinn des Lebens näher kommen als im Paradies? Jedenfalls dachte ich das. Schön bescheuert, hm? Die Tage vergingen wie im Flug, und mit der Anreise meines Vaters zwei Wochen später war das ruhige Leben auch schon wieder vorbei. Ab dann wurde nur noch Party gemacht. Ich weiß schon, bei den meisten Familien wäre das genau umgekehrt gewesen, aber …«
Ich hielt einen Moment inne und suchte nach den passenden Worten.
» … aber was ist heute schon normal?«, beendete ich den Satz.
Bild 12
Am Strand von Sargi, direkt am Haus meines Vaters in Brasilien, Herbst 2005
Das geheimnisvolle Mädchen
» Findest du mich normal?«
Maia starrte die Wand an.
» Ganz sicher nicht!«
» Ja, glaubst du?«
» Auf die eine oder andere Weise sind wir doch alle verrückt. Es kommt halt darauf an, in welchem Stadium der Verrücktheit wir uns befinden. Und mal ehrlich, dieses ganze Modelbusiness ist doch ohnehin voller Spinner. Aber wer will schon normal sein? Willst du jeden Tag ins Büro laufen wie ein Lemming, um schon montags sehnsüchtig dem nächsten Wochenende entgegenzufiebern – ein Leben lang?«
Maia reagierte nicht auf meine Frage. Weinte sie etwa? Ich konnte es nicht genau erkennen.
» Da wurde mir klar, dass entweder ich verrückt war oder die Welt«, sagte sie plötzlich. » Und ich tippte auf die Welt. Und natürlich hatte ich Recht.«
» Wie bitte?«, fragte ich verwirrt.
» Jack Kerouac hat das mal gesagt. Es ist so wahr.«
Ich hatte keine Ahnung, wer das war, wollte aber auch nicht nachfragen.
» Es gibt im Universum eine Million Galaxien und unendlich viele Sterne. Und irgendwo da drinnen stecken wir. Irgendwo und nirgendwo. Was bedeuten wir schon? Ein Stern mehr oder weniger. Es ist bedeutungslos.«
Oh, shit, die Philosophen-Nummer! Was sage ich denn jetzt, ohne dass es blöd klingt?
» Wollen wir eine rauchen?«, nahm sie mir die Entscheidung ab.
» Klar«, sagte ich erleichtert.
» Du, ich denke manchmal einfach laut«, meinte sie und kramte eine zusammengedrückte Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche hervor. » Mach dir keine Gedanken darüber. Das bin einfach nur ich.«
Jetzt strahlte sie wieder. Was für ein eigenartiges Mädchen. Ich nahm das Feuerzeug vom Schreibtisch und reichte es Maia, die vom Bett aufgestanden war.
» Geh schon mal in die Küche«,
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