Mit einem Bein im Modelbusiness
genau mit den Maßen. Ihr fehlten gut und gerne drei oder vier Zentimeter, was sie aber durch ihre Erscheinung mehr als wettmachte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Designer total auf ihre geheimnisvolle und melancholische Aura abfuhren.
Es gibt diese Menschen, die du einfach angucken musst, weil irgendetwas an ihnen dich derart fasziniert, dass alles andere in dem Moment nebensächlich wird. Das ist nichts Sexuelles, bei männlichen Models wie Tony Ward geht mir das genauso. Ich könnte dir Fotos von zehn Männern mit dem gleichen Look zeigen und dich bitten, dir einen herauszupicken, du würdest dich mit großer Wahrscheinlichkeit für Tony entscheiden und könntest nicht einmal genau erklären, warum. Madonna war eine Zeit lang mit ihm zusammen – vielleicht genau deswegen. Es dreht sich um dieses unerklärliche Etwas, das man nicht beschreiben kann. Karl Lagerfeld hat es. Nathalie Portman hat es. Und diese Maia eben auch, jedenfalls ein bisschen davon.
Noch eine Gutenachtgeschichte
Maia stand jetzt vor mir.
» Lässt du deine Prothese beim Schlafen an?«, fragte sie.
» Ja«, log ich.
» Immer?«
» Mal so, mal so.«
» Okay.«
Sie gab sich mit der Antwort zufrieden, hüpfte elegant über mich und setzte sich ans andere Ende des Bettes. Ich warf ihr ein Kissen zu, und sie lehnte sich seitlich gegen die Wand.
» Bekomme ich eine Fortsetzung meiner Gutenachtgeschichte?«, säuselte sie.
» Warte!«
Ich stand auf und holte die Ersatzdecke aus dem Wohnzimmer. Es war zwar nicht kalt, ganz im Gegenteil, die Juninächte in Mailand waren super angenehm. Aber ich wollte nicht in die blöde Lage kommen, die Bettdecke mit ihr teilen zu müssen.
» Dein Vater kam gerade an«, flüsterte Maia und kuschelte sich ein. » Brasilien. Weißt du nicht mehr? Dein Paradies!«
Ihre Augen waren geschlossen. Und wieder musste ich an die Favela-Mädchen denken.
» Schaust du mich an?«, fragte sie leise.
» Nein.«
Ich tat es wohl.
» Tust du doch.«
» Nein, mach ich nicht.«
Ich begann wieder zu erzählen.
» Irgendwann kam mein Vater auf die Idee, Freunde von sich zu besuchen. Er kennt die Region dort in- und auswendig, hat überall seine Kontakte und Bekannte, von denen ich während meiner Zeit auch einige kennenlernen durfte. › Wir fahren morgen in die Favelas‹, bemerkte er fast schon beiläufig beim Abendessen. ›Pack deine Tasche für zwei Nächte. Ich möchte, dass du nicht nur vom Strand und den schönen Palmen erzählen kannst, wenn du wieder zu Hause bist. Du sollst auch was von dem Brasilien sehen, das für Touristen normalerweise geschlossen bleibt.‹«
Maia hatte ihre Augen plötzlich weit geöffnet und sah gar nicht mehr so entspannt aus wie eben.
» Nach einer dreistündigen eher langweiligen Autofahrt ins Landesinnere hielten wir vor dem Haupteingang der Favela an«, fuhr ich fort. » Zwei Typen in Uniform signalisierten uns, auf der Stelle stehen zu bleiben. Einer der beiden sagte etwas, das ich nicht verstand.
› Ihr kommt hier nicht durch. Sofort umdrehen‹, übersetzte mein Dad, der völlig cool blieb und schon die Fensterscheibe heruntergekurbelt hatte. Der Soldat schaute prüfend in den Wagen. Mein Vater wechselte ein paar Sätze mit ihm, schob ein paar Scheine durch das Fenster, und siehe da, das Tor öffnete sich, und wir wurden durchgewunken.
› Waren das Paramilitärs?‹, fragte ich.
› Ja, so ähnlich. Die arbeiten für die Drogenbosse, die alles in der Favela kontrollieren. So eigenartig das auch klingt, aber die sorgen hier für die Sicherheit.‹
Ich sah, wie sich Maias Muskeln anspannten.
» Alles in Ordnung?«, fragte ich.
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
» Jaja«, erwiderte sie lax und ließ wieder locker.
» Soll ich was anderes erzählen?«
» Nein, mach weiter. Ist schon okay.«
» Wirklich?«
» Jaja.«
Also schön.
» Das Haus unserer Bekannten bestand aus Backsteinen, die kreuz und quer und ohne erkennbares System zusammengemauert waren. Die Favela war ein einziges riesiges Baustellen-Meer. Ich hatte natürlich eine Vorstellung davon gehabt – ich weiß nicht, wie oft ich bereits City of God gesehen hatte –, aber das alles mit eigenen Augen zu sehen, war was völlig anderes. Es war einfach viel zu krass, verstehst du? Die Gerüche, die Häuser, der Dreck, die Menschen – alles war so … wie soll ich sagen? Fremd für mich.«
» Hattest du Angst?«
» Klar hatte ich Angst!«
Maia zog sich ihre Decke bis unter die Nase und
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