Mit einem Bein im Modelbusiness
sagte ich und nahm einen kurzen Umweg über das Badezimmer, um Platz für das zweite Bier zu machen.
Es war noch immer ruhig in der WG . Der Wecker, der auf dem Fenstersims oberhalb der Toilette stand, zeigte 00.15 Uhr an.
Durch Robs Türspalt schimmerte noch Licht. Wahrscheinlich konnte er wieder nicht einschlafen und schaute noch eine DVD . Maia saß mit dem Gesicht zur Tür in der Küche und hatte sich schon ihre Kippe angezündet. Mir hatte sie eine auf den Tisch gelegt. Ich nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, gab ihr ein Zeichen, ob sie auch eins wolle, aber sie schüttelte ausdruckslos den Kopf. Dann setzte ich mich. Mit dem Feuerzeug öffnete ich die Flasche, warf den Kronkorken an Maia vorbei in den Mülleimer, zündete mir die Zigarette an, nahm einen tiefen Zug, lehnte mich zurück, den Kopf in den Nacken, und stieß den Rauch nach oben Richtung Zimmerdecke.
» Darf ich trotzdem bleiben?«
» Ich weiß nicht.«
Dieses Mal war ich es, der sie nicht ansah.
» Mario, ich kann heute Nacht nicht alleine sein.«
Ich kippte fast die ganze Bierflasche in einem Zug.
» Ist es denn so schlimm mit mir?«, grinste sie beim Ausatmen und blies den Rauch zu mir rüber.
» Ach, Maia, was soll ich denn jetzt sagen? Ich kann dich ja wohl schlecht vor die Tür setzen, oder? Dafür hat mich meine Mutter viel zu gut erzogen.«
Ich ließ das restliche Bier in der Flasche kreisen und musste plötzlich an die vielen Mädchen denken, denen ich auf meiner Reise durch Brasilien begegnet bin und die alle einen Weg aus der Armut suchten. Ich wollte Maia nicht in die Augen sehen. Welche Geschichte hatte sie zu erzählen? Nein, ich brachte es nicht übers Herz, sie danach zu fragen. Vielleicht war ich auch nur zu feige, weil sie mir hätte antworten können. Und ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wissen wollte. Schnell trank ich mein Bier aus, um auf andere Gedanken zu kommen. Keine Chance. Warum hatte ich nur so viel Mitleid mit ihr? Vielleicht war das ja alles nur ihre Masche, und morgen früh würde ich mit einem Eispickel im Kopf aufwachen? Jetzt sah ich sie doch an. Nein, nicht dieses Mädchen!
Sie nahm ihren Zigarettenstummel, steckte ihn in meine Bierflasche und schüttelte etwas, um die Glut zu löschen. Ich machte es ihr nach.
» Gehen wir schlafen?«, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die ich fast schon wieder lustig fand. Auf der anderen Seite war ich jetzt noch verwirrter als vorher.
Sie drückte sich an mir vorbei und verließ die Küche. Einen Moment später hörte ich das Türschloss im Badezimmer zuschnappen. Ich schlurfte etwas planlos in mein Zimmer zurück, wechselte Jeans gegen Trainingshose und ließ mich erschöpft aufs Bett fallen. Mein Blick wanderte umher und blieb an Maias Tasche hängen, aus der ein abgewetztes Buch herausragte.
» Mal sehen«, murmelte ich vor mich hin und griff danach. Morning’s at Seven von Eric Malpass in der englischen Originalausgabe. Jetzt war mir auch klar, warum sie so gut Englisch sprach. Ein tolles Buch, das ich selbst vor einigen Jahren gelesen hatte. Auf Deutsch heißt es Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Ob Maia eines der Mädchen ist, die immer ein Buch mit sich tragen mussten, um sich notfalls in eine andere Welt zu träumen? Dieses Buch wäre jedenfalls eine gute Wahl dafür gewesen, denn je nachdem wie alt man war oder in welcher Stimmung man sich gerade befand, so sympathisierte man stets mit einer anderen Figur aus dieser verrückten englischen Familie.
Mein Favorit war immer der kleine, rotzfreche Gaylord gewesen, der mit seinen aberwitzigen Ideen allen auf die Nerven ging und nie ein Blatt vor den Mund nahm. Solche Typen gefielen mir schon immer.
Der Umschlag des Buches war voller Risse und Flecken und deutete auf eine abenteuerliche Vergangenheit hin. Wie lange sie es wohl schon besaß?
Die Tür des Badezimmers öffnete sich, und ich steckte das Buch schnell zurück in Maias Tasche, die neben ihren Schuhen stand. Ich versuchte, die Marke zu erkennen, fand aber kein Logo. Wahrscheinlich stammten sie von einem der zahlreichen fliegenden Händler, die die Dinger für 10 Euro auf den Wochenmärkten anboten, und die, wenn man Glück hatte, genau für einen Sommer hielten, bevor sie sich von selbst auflösten.
Maia schwebte ins Zimmer zurück. Ich kann es nicht anders beschreiben. Mir fiel auf, dass sie eigentlich ein bisschen zu klein war, um als Model in Mailand zu arbeiten. Vor allem hier und in Paris nahmen sie es sehr
Weitere Kostenlose Bücher