Mit einer Prise Glück und Liebe
sich meinem Griff, und ich sehe förmlich, wie sie einen Schutzwall hochfährt. Merlin kommt herüber und stellt sich neben sie, wie ein Knappe oder ein Leibwächter. »Was?«, fragt sie mit brüchiger Stimme.
»Es fällt mir nicht leicht, dir das zu sagen, Katie.« Ich hole tief Luft und verkralle die Hände ineinander. »Es geht ihm gut, aber er hat versucht, Selbstmord zu begehen.«
Trotz des abendlichen Dämmerlichts sehe ich, wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht weicht. Es ist kreidebleich wie die Stechblumen, die sie am Gartenzaun gepflanzt hat. »Wann?«
»Vorgestern.«
»Seit wann weißt du es?«
»Seit Sonntagabend.«
»Und du hast mir kein Wort davon gesagt?«
»Ich war einfach …«
»Du hast versprochen, mir alles zu sagen, was ich wissen muss.« Ihre Schultern beben leicht. »Und ich finde, das gehört dazu.«
»Katie, ich habe überlegt, wie ich es dir schonend beibringen kann. Ich wollte dir keine Angst machen. Ich wollte nicht, dass du am Boden zerstört bist …«
»Er ist mein Vater, kapiert? Meiner. Alle anderen sind nur angeheiratet, aber ich bin seine Tochter, deshalb hatte ich ein Recht darauf, es zu erfahren. Und zwar sofort.«
»Das stimmt. Und es tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht, aber nur, weil ich dich beschützen wollte.«
»Ich will aber nicht beschützt werden!«, schreit sie, noch immer mit geballten Fäusten. »Ich hasse dich! Ich hasse euch alle! Ich könnte kotzen! Ich sollte bei ihm sein. Wenn ich bei ihm wäre, würde er so was nicht tun!«
Sie bricht in Tränen aus. Ich mache Anstalten, sie in die Arme zu nehmen, doch mit einem Aufschrei schlägt sie mich weg. Ich taumle rückwärts, die Arme noch immer nach ihr ausgestreckt, aber sie wirbelt herum und stürmt davon.
»Katie!«, rufe ich und laufe ihr nach.
An der Tür bleibt sie schwer atmend stehen und hebt abwehrend die Hände. Ihr Gesicht ist tränennass. »Nicht. Ich will allein sein.«
Ich zwinge mich, die Hände sinken zu lassen, und trete einen Schritt rückwärts. »Es tut mir leid.«
Sie stürzt ins Haus, während ich im abendlichen Dämmerlicht stehen bleibe und ihr nachsehe. Kühle steigt vom Rasen unter meinen Füßen auf. Irgendwo in der Ferne spielt Musik.
Merlin stupst meine Hand an, leckt meine Handfläche und sieht mich an. »Mich will sie im Moment nicht sehen, mein Kleiner.« Ich öffne die Fliegentür. »Geh du zu ihr.«
Mit gesenktem Schwanz steht er einen Moment lang da. Seine alten, weisen Augen übermitteln mir eine Botschaft, die ich nicht verstehe. Ich wünschte, ich würde seine Sprache beherrschen. »Was?«
Langsam wedelt er mit dem Schwanz und sieht zur Treppe. »Ich weiß. Geh zu ihr und kümmere dich um sie.«
Er trottet die Stufen hinauf, während ich die Fliegentür hinter ihm schließe. Jonah tritt hinter mich und legt mir die Hand auf den Rücken. Ich schüttle sie ab. »Ich muss in Ruhe nachdenken. Allein.«
»Verstehe.«
Voller Beklommenheit denke ich an all die Dinge, um die ich mich dringend kümmern sollte. Um Katie. Um die Bäckerei. Um Sofia. Wieder einmal scheine ich auf der ganzen Linie zu versagen, wie so oft in meinem Leben.
»Gerade fiel mir wieder der Tag ein, als deine Mutter in den Plattenladen kam und außer sich vor Wut war. Weißt du noch?«
»Allerdings. Es war so demütigend, dass sie alles missverstanden und mich offensichtlich für die letzte Schlampe gehalten hat.«
»Trotzdem«, fährt er mit dieser samtig-weichen Stimme fort und streicht mit den Fingern über meinen Nacken, »war ihre Besorgnis durchaus gerechtfertigt. Zwischen uns herrschte eine gewaltige Spannung. Du warst so einsam und ich« – er holt tief Luft und lässt sie wieder entweichen – »war verwirrt. Traurig. Das Ganze hätte gefährlich werden können.«
Es ist gefährlich. Viel zu gefährlich. »Jonah, es tut mir leid, aber ich glaube, ich muss jetzt allein sein.«
Er zögert einen Moment. »Beschwör kein Problem herauf, wo eigentlich keines ist, Ramona«, sagt er dann.
»Das tue ich nicht. Könntest du mir nur ein kleines bisschen Raum geben?«
»Natürlich.« Er hebt resigniert die Hände. »Ruf mich an.«
Als er fort ist, trage ich die Weingläser nach oben. Katie hat das Geschirr abgewaschen, und die Küche ist blitzsauber. Beim Gedanken daran, welche Mühe sie sich gegeben hat, bevor sie vom Selbstmordversuch ihres Vaters erfahren hat – Selbstmord! –, kocht Wut in mir hoch. Am liebsten würde ich ihn schütteln.
Aber Wut hilft in dieser Situation
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