lässt. Wie kann ich gleichzeitig so glücklich sein und mir solche Sorgen machen? , frage ich mich zum wiederholten Male. So zufrieden und so panisch?
Aber vielleicht ist das Leben nun einmal so – eine wilde Mischung aus allem. Als wir auf der Gartenschaukel sitzen, erzähle ich Jonah von Katies Ausflug zur Blumenausstellung, dann erzählt er mir von der Komposition, an der er gerade arbeitet. »Hast du mir schon einen Laib Brot gebacken?«, fragt er.
»Ist es das Stück, an dem du gerade arbeitest? Etwas, das nach Sommerabend klingt?«
»Mit Ramona im Mittelpunkt.«
»Tja, dann sollte ich mich wohl langsam an die Arbeit machen.«
»Nur die Ruhe«, erwidert er. »Nur die Ruhe.«
ACHTUNDVIERZIG
Katie
A ls Katie die Küche aufgeräumt hat, fährt sie den Computer hoch. Zwei neue Mails sind in ihrem Posteingang: eine von ihrer Mutter von gestern. Und heute ist noch eine zweite eingegangen. TUT MIR LEID , steht im Betreff. Einen Moment lang hämmert Katies Herz wie verrückt in ihrer Brust.
Sie öffnet die Mail.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Betreff: TUT MIR LEID !
OH SCHATZ HAB GRADE DAS VON DEINEM DADDY GEHÖRT . TUT MIR ECHT SUPERLEID . JETZT BIST DU PRAKTISCH NE WAISE WAS ? ICH WÜNSCHRE ICH KÖNNTE DICH ANRUFEN UND SEHEN OB ’S DIR AUCH GUTGEHT ABER DU WEIST JA DAS DAS NICHT GEHT . ABER ICH DNEKE IMMER AN DICH . KOMM BITTE UNBEDINGT HER DAMIT ICH DICH DRÜCKEN KANN UND DANN ISS AUCH ALLES WIEDER GUT . DEINE MAMA ISS DIE EINZIGE WO DU DICH DRAUF VERLASEN KANNST : STEIG EINFACH IN DEN BUS UND KOMM HER . DORTHIN WO ICH FRÜHER WAR UND DANN KÖNNEN WIR IN DEN PARK GEHEN ODER SO WAS . VIELLEICHT KAUFEN WIR UNS JA EIN EIS ODER WAS DU WILLST .
HAB DICH LIEB MOM
Katies Hände zittern, als sie die Mail ein zweites Mal liest. Praktisch Waise? Was will sie damit sagen? Ihre Kehle ist plötzlich wie zugeschnürt. Sie öffnet die erste Mail, um zu sehen, ob irgendetwas Besonderes darin steht, aber da ist nichts. Nur das Übliche.
Sie schließt die Augen. Ein Schauder überläuft sie, über ihren Nacken und an ihren Armen entlang.
Bitte, lass ihn nicht tot sein.
Aber natürlich ist er nicht tot. Unmöglich. Ramona hat ihr doch versprochen, ihr immer die Wahrheit zu sagen.
Aber was, wenn …?
Ein scharfer Schmerz bohrt sich durch ihren Magen, so dass sie kaum noch atmen kann. Merlin kommt herüber und legt den Kopf in ihren Schoß. Er sieht sie aus seinen whiskeyfarbenen Augen an. Einen Moment lang kann sie sich noch nicht einmal aufraffen, ihn zu streicheln.
Was ist, wenn ihr Dad tot ist? Wo soll sie dann leben?
Nach einem scheinbar endlosen Moment legt sie die Hand auf Merlins Kopf und lässt sein goldfarbenes Ohr zwischen ihren Fingern hindurchgleiten, das sich anfühlt wie die Satinborte an einer Tagesdecke. Er leckt ihr Handgelenk. Ganz langsam und geduldig.
Geh nach unten und frag Ramona , sagt die Stimme in ihrem Kopf. Die Stimme der Vernunft.
Aber was, wenn sie und Jonah gerade rummachen oder so? Die beiden sind so verknallt, dass es schon peinlich ist. Und obwohl sie weiß, dass sie versuchen, sich vor ihr zu beherrschen, hat Katie einmal mitbekommen, wie Jonah seine Hand unter Ramonas Rock geschoben hat. Igitt.
Sie wird einfach viel Lärm machen, wenn sie die Treppe hinuntergeht. »Komm, Merlin«, sagt sie und steht auf, bevor sie es sich anders überlegen kann.
NEUNUNDVIERZIG
Ramona
J onah und ich sitzen auf der Schaukel und schwingen müßig hin und her, als Katie die Treppe heruntergestürmt kommt. »Ramona!«
Etwas an ihrer Stimme lässt mich hochfahren und nach Jonahs Hand greifen. »Ich bin hier!«
Sie ist völlig außer Atem, doch der Ausdruck in ihren Augen ist so ungezähmt und wild, dass ich reflexartig aufspringe. Sie ballt die Fäuste. »Ist mein Dad tot?«, schreit sie.
»Nein!« Ich lege meine Hände auf ihre Arme, die in den letzten Wochen ein klein bisschen fleischiger geworden, aber trotzdem noch sehr dünn sind. »Nein, er ist nicht tot.«
»Schwörst du?«
»Ja. Wieso fragst du?«
»Meine Mutter hat mir eine Mail geschickt, und es klang, als wäre mein Dad tot. Sie schreibt, ich sei praktisch Waise.«
Ich werfe Jonah einen Blick über die Schulter zu. Er nickt kaum merklich. Ich hätte ihr diese Neuigkeit nicht vorenthalten dürfen. Mein Verrat lastet tonnenschwer auf mir, umso mehr, weil Katie so oft in ihrem Leben von Erwachsenen im Stich gelassen wurde. Auch von ihrem Vater. »Ich muss dir etwas sagen, Katie.«
Sie entwindet