Mit einer Prise Glück und Liebe
war, wie ich gedacht hatte. Auf der Ladefläche lagen Schubkarren, Schaufeln und schmutzige Planen, und der Kerl sah aus, als verdiene er seinen Lebensunterhalt auf dem Bau. Er hatte hellblaue Augen und langes Haar. Ich wich einen Schritt zurück.
»Wie heißt du, Schätzchen?«
Ich schüttelte den Kopf, sah nach links und machte Anstalten, die Straße zu überqueren.
»Du bist nicht von hier, was?«, bemerkte er. »An deine Haare würd ich mich erinnern. Siehst wie ’n kleiner Engel aus. So hübsch.«
Ich wandte mich ab, ohne ihn zu beachten. Ich wünschte, es käme jemand vorbei und sagte ihm, er solle sich verziehen, aber weit und breit war niemand zu sehen.
»Komm schon, Süße. Ich beiß schon nicht«, fuhr er fort. »Ich heiße Jason. Und du?«
Schließlich hupte jemand hinter ihm. »Man sieht sich«, rief er, fuhr davon und lehnte sich demonstrativ aus dem Fenster, als könnte er den Blick nicht von mir lösen.
Es stellte sich heraus, dass eine Frau in Schwesterntracht gehupt hatte. Sie winkte mir zu, und ich winkte zum Dank zurück, ehe ich die Straße überquerte.
Der restliche Weg verlief ohne weitere Zwischenfälle. Die Kühle des klimatisierten Ladens war herrlich nach der glühenden Sonne, und ich hatte ganze zwanzig Dollar in der Tasche, die ich ausgeben durfte. Es waren mehrere Kunden im Laden, aber ich tat einfach so, als würde ich sie nicht bemerken, sondern steuerte geradewegs den Schreibwarengang an.
Hier gab es mechanische Bleistifte mit hauchfeinen Minen, Aufkleber für Einweckgläser, Aktenordner, Schreibmaschinenpapier, linierte Schreibblöcke, Spiralbücher und Skizzenblöcke. Die mochte ich am liebsten, obwohl ich sie seltsamerweise ausschließlich benutzte, wenn ich bei Poppy war. Aus irgendeinem Grund bekam ich in ihrem Haus immer Lust, zu zeichnen. Auch jetzt musste ich an die blauen Flaschen und die Kräuter auf der Fensterbank in der Küche denken, und etwas sagte mir, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich sie zeichnete oder malte. Ich nahm einen Skizzenblock und einen Drehbleistift aus dem Regal und schwankte noch zwischen den Wasserfarben und den Pastellstiften, als der Ladenbesitzer in seinem weißen Kittel neben mich trat. »Kann ich dir helfen?«, fragte er.
»Nein, danke«, antwortete ich höflich. »Ich überlege noch.«
Er machte keine Anstalten, zu verschwinden.
»Stimmt etwas nicht?«
»Jemand dachte, dass du etwas klaust.«
Eine flammende Röte breitete sich auf meinem Gesicht aus, bis hinauf zu den Spitzen meiner Ohren. »Wieso? Nur weil ich schwanger bin? Macht mich das automatisch zur Diebin?«
»Kein Grund, gleich laut zu werden. Wieso zeigst du mir nicht einfach, was du in den Taschen hast, dann ist alles in bester Ordnung?«
Einen langen Moment starrte ich ihn an. Das konnte nur ein Missverständnis sein. »Ich komme ständig mit meiner Tante Poppy hierher. Erinnern Sie sich denn nicht an mich?«
»Ich fürchte, nein.« Er verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere und kreuzte die Hände vor dem Schoß wie ein Pfarrer. Und wartete.
Mühsam unterdrückte ich die Tränen, legte den Block und den Bleistift beiseite und leerte sämtliche Taschen – ein Zwanziger und ein Lipgloss, von dem ich auch noch den Verschluss abschraubte, um ihm zu zeigen, dass er bereits benutzt war. »Den hatte ich schon vorher.«
»Dann ist ja alles bestens. Wenn du jetzt mit nach vorn kommen willst, dann kassiere ich die Sachen ab.«
In aller Seelenruhe drehte er sich um und ging zur Kasse. Ich folgte ihm, während ich mir ausmalte, wie ich auf dem Weg alles aus den Regalen fegte, was ich erwischte, damit er es später wieder aufheben und einräumen musste. Wieder und wieder lief die Szene vor meinem geistigen Auge ab, während ich vor ihm stand, mit umgestülpten Taschen und dem Zwanziger in der rechten Hand.
In der Realität verstaute ich meine Sachen in den Taschen, steckte meinen Zwanziger ein und verließ den Laden ohne ein weiteres Wort. Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich , hallte es in meinem Kopf. Und damit meinte ich nicht den Drugstore-Besitzer.
Nein, ich meinte Armando, der nicht einmal wusste, dass er mir das angetan hatte. Und den es wahrscheinlich einen Scheißdreck interessieren würde, wenn er es wüsste.
Draußen auf der Straße überlegte ich kurz, ob ich Poppy suchen und mich an ihrem Rockzipfel festklammern sollte, bis wir wieder nach Hause fuhren. Bestimmt hätte sie Mitleid mit mir, wenn ich ihr erzählen würde, was
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