Mit falschem Stolz
etlicher Schlachten kannte sie bereits. Diesmal war es jedoch wirklich nur ein verhält nismäßig geringer Kratzer, aber als sie ihre Hand über seine Schultern gleiten ließ, stöhnte er leise.
»Nicht, Alyss. Oder mehr. Aber nicht hier.«
»Quält Euch die Wunde so sehr?«
Er sah zu ihr hoch.
»Mehr als Ihr Euch vorstellen könnt, my Mistress.«
Wärme, dann Hitze und schließlich loderndes Feuer ergriff ihren Körper.
Frei!
»Halte ich das Heilmittel in meinen Händen, John?«
»Nur du. Muss ich flehen?«
Frei!
»Nein«, hauchte sie. Dann riss sie sich zusammen, denn Frieder kam mit dem Wassereimer zurück und Hilda mit Verbandszeug und Salbe. Verarztet war John schnell, Frieder brachte ihm eines seiner Hemden, und als das restliche Hauswesen sich zum Essen in der Küche versammelt hatte, fand sich auch Lore ein. Alyss bemerkte an John noch einmal das Auflodern eisiger Wut, als er das zerschlagene Gesichtchen sah.
»Wir haben deine Sachen hergebracht, Maid Lore.«
»Ja, Lore, und dabei ist der Thys ganz dumm über Johns Fuß gestolpert« erklärte Frieder grinsend.
Lore sah von einem zum andern, dann dämmerte ihr offensichtlich, was sich ereignet haben musste.
»Und auf die Schnauze gefallen?«, fragte sie.
»Mächtig, Lore. Mächtig auf die Schnauze gefallen. Und ich glaube kaum, dass er noch einmal wagen wird, die Hand gegen dich zu erheben.«
Lore malte mit dem Finger einen Kringel auf den Tisch.
»Hat er verdient, der Sauhungk.«
»Deine Schwester wird er auch nicht mehr schlagen«, sagte John leise. »Und schau in dem Bündel nach, ob wir alles mitgenommen haben, was dir gehört.«
»Master John war so schlau, deinen Strohsack auszuleeren. Hübsches Sümmchen hast du da drin versteckt.«
»Is vom Päckelchestragen. Das wollte er von mir haben.«
»Er wird sich zukünftig seine Kupfer selbst verdienen müssen«, sagte Alyss kalt.
Es klopfte an der Tür, und Hilda kam gleich darauf mit Merten und Marian zurück.
»Noch mehr hungrige Mäuler«, verkündete Marian und setzte sich neben Lore. Sie rückte unwillkürlich ein Stück von ihm weg, blieb aber sitzen und beantwortete friedlich seine Fragen nach ihrem Befinden.
Merten lächelte Alyss gewinnend an.
»Ich bitte um Obdach, Frau Alyss. Eure Küche ist so viel wärmer und lauschiger als die im Hause meiner Großmutter. Sie hat das Gliederreißen und ist zänkisch und hackt auf mir herum wie eine hungrige Möwe.«
»Dann setz dich zu uns. Eine Pastete werden wir noch übrig haben.«
Alyss bemühte sich darum, gleichmäßig freundlich zu ihm zu sein, doch ein leises Misstrauen machte es ihr schwer. Merten hatte es schon immer verstanden, sich einzuschmeicheln, die Rosen in ihrem Bett aber waren wahrlich mehr als Schmeichelei. Doch hier im Kreise des Hauswesens wollte sie sich dazu nichts anmerken lassen.
Marian schien mit Lores Auskünften zufrieden zu sein und hörte sich Frieders erneute Schilderung von Johns Heldentat an.
»Ich fühle mich nicht befugt, den Thys aufzusuchen und ihn mit meiner Heilkunst zu beglücken«, meinte er schließlich.
»Ah, befugt – ehe ich es vergesse, Mistress Alyss. Ich suchte auf Euren Rat hin Magister Jakob auf und freue mich, Euch mitteilen zu können, dass er wahrlich befugt schien, über unser overstoltzes Vorgehen Entzücken zu empfinden. Mehrmals hintereinander sagte er« – und hier machte John die tonlose Stimme des Notarius vollendet nach –: »›Ja, ja, der Overstoltz!‹«
Das Hauswesen prustete.
»Hat Magister Jakob auch bei dem Studenten weiterhelfen können, Master John?«, fragte Alyss, als die Belustigung sich gelegt hatte.
»Er wird mich morgen zu dem Rektor Hegghe begleiten, um Einsicht in die Verzeichnisse der Studiosi zu nehmen.«
»Ihr sucht einen Studenten?«, fragte Merten.
»Ja, einen Caspar van Mechelen. Er war es wohl, der den armen Mats niedergeschlagen hat. Wir müssen ihm einige Fragen stellen.«
»Caspar? Dazu braucht Ihr nicht zum Rektor zu gehen. Ich kenne ihn.«
Alle horchten auf, und Marian ergriff das Wort.
»Wir hätten dich früher fragen sollen. Es hätte uns viel Ärger erspart. Erzähl, wo finden wir diesen Caspar?«
Merten lächelte und sonnte sich in der Aufmerksamkeit.
»Er ist ein Bettelstudent und wohnt in der Burse an der Rechtsschule. Ein armseliges Leben, aber er ist ein geselliger Bursche, und einigen meiner Bekannten gefallen seine launigen Späße. Vor allem hat er ein Händchen für Geflügel – wie auch Ihr, Master John.«
»Er
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