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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Der Karrengaul stand ruhig und verträumt an seiner Krippe, im Stroh aber lag die Eselin, und dicht an sie gerollt ein schmuddeliges Lumpenbündel. Sie schlich näher und erkannte den vertrauten Rotschopf. Und mit blankem Entsetzen bemerkte sie die Blutspuren in Lores Gesicht.
    »Eine Decke, Hilda. Und einen Kessel mit heißem Wasser. Peer, schick Frieder, er soll meinen Bruder holen.«
    Sie kniete sich neben Jennet nieder, die ein ängstliches Schnauben von sich gab, aber liegenblieb. Irgendwann am vergangenen Abend musste das Mädchen sich in den Stall geschlichen haben. Noch bevor sie das Tor verriegelt hatte. Warum war sie nicht zu ihnen ins Haus gekommen? Ohne sie zu berühren, musterte Alyss die zusammengekrümmte Gestalt gründlich. Ihr Gesicht war geschwollen, Kinn und Wangen blau verfärbt. Jemand hatte sie brutal verprügelt. Ihr vielleicht auch Schlimmeres angetan. Scham und Elend mochten sie daran gehindert haben, zu ihnen in die Küche zu kommen.
    Lauryn kam mit einer Decke und kniete neben ihr nieder.
    »Heilige Jungfrau, was ist ihr geschehen?«, wisperte sie und breitete die Decke vorsichtig über Lore.
    »Sie wird es uns sagen, wenn sie aufwacht. Richte ihr Hedwigis’ Bett, Lauryn. Ich denke, wir werden sie eine Weile zu uns nehmen.«
    »Armes Ding. Aber die Eselin versteht sie.«
    »Ein gemeinsames Schicksal verbindet.«
    Lauryn erhob sich und verließ den Stall, Alyss wollte sich ebenfalls erheben, aber Lore stöhnte und bewegte sich.
    Jennet kam auf die Beine und drückte sich an die Stallwand.
    »Lore, was ist passiert? Lore?«
    Alyss wollte dem Mädchen über die Schulter streichen, aber Lore stieß einen Schrei aus und rückte von ihr fort. Mit angstvoll aufgerissenen Augen sah sie um sich.
    »Du bist bei Jennet im Stall, Lore. In Sicherheit.«
    »Fr… Frau Herrin?«
    »Du hast den Weg zu uns gefunden. Kannst du dich bewegen? Hast du Schmerzen? Wunden?«
    Sie stöhnte, als sie sich bewegte.
    »Messveech«, flüsterte sie.
    »Jennet ist da, aber sie ist aufgestanden. Man hat dich geschlagen, ja?«
    Lore nickte.
    »Wer?«
    »Der Thys, der Trudlin ihr Mann.«
    »Wer ist die Trudlin?«
    »Minge Schwester.«
    »Bei der du wohnst?«
    »Ja, Frau Herrin. Er wollte meine Münzen. Und er hatte gesoffen. Und …«
    »Hat er dir mehr angetan, als dich zu schlagen?«
    »Wollt er, aber ich bin wech. Glaubt Ihr, die Bejinge lassen mich bei ihnen wohnen?«
    »Wenn du bei den Beginen wohnen willst, werde ich dafür sorgen, dass sie dich aufnehmen. Aber du kannst auch hier in die Kammer der Jungfern ziehen. Hedwigis ist zu ihrer Familie zurückgegangen.«
    Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigte sich in dem zerschlagenen Gesicht.
    »Besser. Danke, Frau Herrin.«
    »Aber baden musst du.«
    »Ist recht, Frau Herrin.«
    »Und Herrn Marian erlauben, deine Verletzungen zu behandeln.«
    Lore schauderte.
    »Lore, er ist ein Heiler. Und er ist mein Bruder.«
    Sie hatten sie gebadet, Marian sanft und geduldig all die vielen Prellungen und Striemen gesalbt und verbunden, doch sein Gesicht wurde grimmiger und grimmiger. Als Lauryn Lore endlich mit nach oben in die Schlafkammer genommen hatte, legte Alyss ihm die Hand auf die Schulter.
    »Es war nicht vergeudet, dass du all dies gelernt hast, Bruder mein.«
    »In diesem Fall danke ich meiner Gabe. Sie wird jetzt weniger Schmerzen haben. Lass sie viel schlafen.«
    »Ja, für sie ist gesorgt – wie geht es unserem Vater?«
    »Er sitzt schon wieder im Kontor und behauptet, das täte seinem Herzen besser, als dumpf die Decke über sich zu betrachten.«
    »Damit hat er möglicherweise recht. Und nun brauche ich eine Schüssel Morgenbrei mit Honig und Rosinen.«
    »Leckermaul.«
    Der Tag nahm seinen üblichen Verlauf, Alyss besuchte mit Frieder zusammen einige Kunden und sammelte ihre Außenstände ein. Zahlwoche – die Woche nach der Messe – war die rechte Zeit, Schulden zu begleichen und Rechnungen zu stellen. Der Münzbeutel an ihrem Gürtel wölbte sich prall, als sie zum Mittagsläuten zurückkehrte. Sie hatte Frieder gebeten, sie zu begleiten, um ihn ein wenig zu beobachten. Doch seine Begeisterung, wie er gleichermaßen Jungfern und Hürchen nachschaute, überzeugte sie alsbald, dass er gewiss keine minnigliche Neigung ihr gegenüber empfand.
    Hilda hatte Pasteten gebacken, und der Duft nach Schmalz, Speck und Thymian lag in der Luft über dem Hof. Und der Falke kreiste hoch oben unter dem herbstgrauen Himmel. Da Leocadie jedoch mit einem Korb Eiern aus dem Hühnerstall

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