Mit falschem Stolz
hagere Gestalt, vertraut und – Alyss atmete tief auf – befugt, auf die Rechtmäßigkeit der Befragung zu achten.
Magister Jakob, er hatte sich die Beteiligung an der Befragung erkämpft. Sehr zum Unwillen des Schöffen, wie sie an dessen Blicken erkannte, die er dem grau gewandeten Notarius sandte.
»Alyss van Doorne!«, donnerte Endres Overstoltz und wurde prompt von der tonlosen Stimme des Magisters unterbrochen.
»Um der rechten Form der Befragung zu genügen, Herr Schöffe, muss ich Euch bitten, auf die korrekte Anrede der zu befragenden Person zu achten. Ihr wollt doch nicht, dass das Protokoll angefochten werden kann.«
»Die ist aber die Witwe van Doorne.«
»Witwe ist sie, doch ihr Name lautet so nicht.«
»Häh?«
Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Alyss beinahe ein Kichern unterdrücken müssen.
»Wie heißt du, Weib?«, herrschte Overstoltz sie also an.
»Gewöhnlich verwendet man die Anrede der wohledlen Frau«, belehrte der Magister ihn schon wieder völlig tonlos. Was den Schöffen erneut in Wut brachte.
»Die Malefikantin hat alle Ansprüche auf jegliche Form der Ehrerbietung verloren. Die ist des Mordes angeklagt.«
»Von wem, Herr Schöffe?«
»Von mir höchstpersönlich, Notarius. Es gibt Indizien.«
»Welcher Art sind die von Euch angesprochenen Indizien?«
»Das geht Euch nichts an, Notarius.«
»Ich mögt verzeihen, Herr Schöffe, doch ich bin befugt, hierin Aufklärung zu erwirken. Als Advocatus derer vom Spiegel steht es mir zu, Eure Anklagepunkte zur Kenntnis zu erhalten.«
Diese vollkommen monoton gesprochenen Worte schienen den Overstoltz zu reizen, doch Magister Jakob hatte offensichtlich gründliche Erfahrung im Procedere der Befragung, und jedes Mal, wenn der Schöffe ansetzte, ihr eine Frage zu stellen, ertönte wieder ein leidenschaftslos vorgebrachter Einwand. Vor Alyss’ staunenden Augen spielte sich eine Posse sondergleichen ab, bei der sie allerlei Wissenswertes erfuhr – über Endres Overstoltz. Zu Protokoll genommen wurde indes von ihr lediglich, dass sie mit dem Namen Alyss vom Spiegel ihre Geschäfte tätigte und das Siegel mit dem Wappen ihres Vaters führte.
Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, rauschte der Schöffe zornschnaubend aus dem Keller, ohne auch nur ein Wort mit Alyss gewechselt zu haben. Der Magister und der Turmschreiber folgten ihm gemächlich, und Alyss vermeinte ein ganz leises »Dammich« gehört zu haben.
Der freundliche Wachmann führte sie zu ihrem Gelass zurück, wo Gislindis sie blass und unruhig erwartete. Erst hier erlaubte sie sich, mit einem hilflos schluchzenden Lachen auf dem Strohsack niederzusinken.
»Gislindis, das war ein unbeschreibliches Komödiantenspiel. Magister Jakob hat aus dem Schöffen den vollendeten Hanswurst gemacht.«
»Es wird sich rächen.«
»Nein, das wird es nicht. Ich habe einiges bei dieser Posse in Erfahrung gebracht. Das eine ist, dass der Mann wahrlich kein Fetzchen Sachverstand in Rechtsdingen hat. Gislindis, er wird auch dich befragen, und ich habe so eine Ahnung, dass auch du einen Beistand haben wirst. Also hab keine Angst, sag so wenig wie möglich, und hör gründlich zu.«
Ein zaghaftes Lächeln huschte über Gislindis’ Gesicht.
» Das ist eines meiner großen Talente, Alyss.«
20. Kapitel
Z itternd zog Lore das, was einmal eine saubere Schürze gewesen war, um ihre Schultern. Dunkel und feucht war es hier in diesen alten Gemäuern. Sie hatte sich verkrochen wie ein krankes Tier, tiefer und tiefer in die Aduchten, die alten Kanäle unter der Stadt, die ihr schon früher häufig als Versteck gedient hatten. Doch diesmal versteckte sie sich nicht vor ihrem schmierigen Schwager oder aufdringlichen Tagelöhnern, keifenden Waschweibern oder diebischen Gassenkindern. Sie versteckte sich vor sich selbst.
Modrig roch es, nach fauligem Wasser, den verwesenden Kadavern kleiner Tiere. Ratten huschten über ihre Füße, es tröpfelte zwischen den Steinen an der Decke und nässte ihre Haare. Glitschiges Gewächs schimmerte an den Wänden, nur noch ein ferner Lichtschein aus dem Eingang weit hinter ihr kroch an der Feuchtigkeit der Mauern entlang.
Doch Lore achtete nicht darauf. Die Hässlichkeit ihrer Zuflucht war nichts gegen das Grauen in ihr selbst. Die Dunkelheit, das Entsetzen, die würgende Übelkeit – sie konnte dem nicht entfleuchen, auch wenn sie noch so tief in die Unterwelt floh.
Dennoch ging sie weiter, bis sie fast nichts mehr sehen konnte. Sie stieß sich
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