Mit falschem Stolz
meinen Bruder bereit.«
Mit diesem frommen Wunsch verabschiedete er sich, und Marian trottete erschöpft zum Alter Markt zurück, um sich berichten zu lassen, was Frau Clara für seine Schwester und Gislindis hatte tun können.
19. Kapitel
A lyss und Gislindis waren inzwischen in demselben Gelass untergebracht, in dem auch Catrin ihre Zeit verbracht hatte. Es war nicht ungemütlich, die reichliche Kerkermiete gestattete ihnen allerlei Annehmlichkeiten, einschließlich eines Krugs ihres eigenen Pfälzer Weins. Der Turmvogt, der gewöhnlich ihr Kunde war, hatte ihn ihr selbst gebracht. Aber dennoch war ihre Stimmung düster. Alyss, weil sie wütend war, Gislindis, weil sie Angst hatte. Angst verspürte Alyss nicht. Sie war sicher, dass ihr Bruder alles daransetzen würde, sie aus dem Turm zu befreien. Sie und Gislindis. Frau Clara hatte ihnen schon versichert, dass alle ihre Freunde sich für sie einsetzen würden. Jeder wusste, dass sie unschuldig waren.
Allerdings hatte dieser hirnlose Schöffe sich offensichtlich in seine Theorie verbissen und würde alles daransetzen, ihnen eine Schuld zuzusprechen. Es würde eine unangenehme Zeit werden, und Gislindis lief zudem auch noch Gefahr, als Zaubersche angeklagt zu werden, sollte irgendein missgünstiger Stoffel sich ihres Handlesens erinnern und es zur Sprache bringen.
Sie hatten in der Nacht Seite an Seite geschlafen, unruhig und von Träumen gequält. In der Frühe hatte der Wachmann, dessen Güte Alyss sich schwor, später zu vergelten, ihnen gesüßten Brei gebracht. Und sie in seinen ungelenken Worten gewarnt: »Der Overstoltz wird nachher kommen. Er bringt Euch in den Keller. Aber er darf Euch nicht peinlich befragen. Denkt daran.«
Dass er das nicht durfte, wusste Alyss, aber ihr Vertrauen in den Schöffen war nicht allzu groß. Vieles, was verboten war, geschah dennoch.
Und natürlich wurde sie kurz darauf von einem anderen Büttel gerufen und ziemlich grob in den Keller gezerrt. Trotz aller Standhaftigkeit packte die Furcht sie, als sie den finsteren Raum betrat, in dem nur zwei rußende Fackeln das Gemäuer erhellten. Es roch nach Angst, nach Blut, nach Schmerzen. Das Stöhnen und die Schreie der Gefolterten schienen noch in der Luft zu hängen. Marian hatte vor einigen Monaten einen Fuhrknecht hier besucht, und es hatte ihn krank gemacht.
Sie schluckte trocken, als der Büttel sie auf einen Schemel stieß. Dann fiel die Tür zu.
Der Aufenthalt zwischen den Werkzeugen der Pein sollte sie vermutlich mürbe machen. Also schloss sie die Augen, um sich den Anblick zu ersparen. Langsam und tief atmete sie durch und versuchte, sich ihr stilles Sanktuarium im Rebgarten vorzustellen. Die letzten Rosen rankten sich um das Spalier, der Lavendel zu ihren Füßen war verblüht und hing in dicken Kräuterbündeln im Haus, um seinen reinen Duft zu verbreiten. Vogelsang erfüllte die Luft, Spatzen tschilpten, Amseln flöteten, und sie hörte Herolds kriegerisches Krähen. Elstern hüpften und flatterten zwischen den rotbelaubten Rebstöcken, spreizten spielerisch ihr schwarz-weißes Feder kleid. Klug schauten ihre Augen oft zu ihr hin, wenn sie ruhig dort saß. Manchmal erschien deren Krächzen ihr wie Menschenworte, eine fremde Sprache vielleicht, aber von Bedeutung und tiefem Sinn.
Meistens wurde ihre Seele dort ruhig und erhob sich zu einem der schönen Gebete, die Pater Henricus sie und ihren Bruder als Kinder gelehrt hatte. In dem Lobpreis der Freiheit, der Natur und ihren Elementen hatte sie immer Frieden gefunden. Und so murmelte sie auch jetzt in dieser dunklen, von Angst und Entsetzen durchdrungenen Kammer diese Worte.
»Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind
und durch Luft und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.
Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark.«
Knarrend ging die Tür auf, und von einem Fackelträger begleitet trat ein großer, schwerer Mann ein, dessen Robe ihn noch wuchtiger erscheinen ließ. Neben ihm der gebeugte Turmschreiber. Hinter ihm aber überragte beide eine
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