Mit Familienanschluß
Gegenargumente ein.
»Das biege ich schon hin«, hatte er Ingeborg mit Elan versprochen. »Erst einmal müssen wir da sein, dann kommen die Alten in Zugzwang.«
Das war vor drei Wochen gewesen. Aber seitdem hatten sich für Walter das Leben, die großen Ferien, sein erotisches Weltbild und sein Lebensstil grundlegend verändert. Der Eintritt von Eva Aurich in die Wolters-Familie war eine Art Naturereignis geworden. Darum war es seitdem für Walter die Hauptaufgabe all seiner Beredsamkeit, Ingeborg davon zu überzeugen, daß Diano Marina wohl doch nicht der rechte Erdenfleck sei, um gemeinsam das freie Leben auszukosten.
Ingeborg jedoch erwies sich auf einmal als schwerhörig. Ibiza war abgeschrieben, die Riviera eingeplant – sie dachte nicht daran, nun einzusehen, daß Walter als Opfer seiner Familie seinen vorherigen Versprechungen nicht mehr nachkommen konnte.
»Bist du noch ein Schoßkind?« frage Ingeborg ziemlich schnippisch. »Mit neunzehn hatte Alexander der Große schon Persien erobert.«
»Er hatte keinen Hermann Wolters zum Vater!«
»Auch autoritäre Väter kann man in die Knie zwingen! Mensch! Hältst Vorträge über Knechtschaft und ziehst selbst den Pflug!«
Man muß zugeben, Ingeborg war eine gute Rhetorikerin.
»Zeig es deinem Alten mal!« fügte sie noch hinzu. »Hau auf den Tisch!«
»Solange ich kein Geld verdiene …«
»Dann verdiene es! Steig doch aus dem ganzen Scheiß der humanistischen Bildung aus! Wer Mörtel anrühren kann, ist wichtiger als der, der den Mörtel bezahlt. Der Stinksack mit dem dicken Bankkonto kann keine Kuh melken – aber Milch will er trinken! Die Zukunft gehört denen, die notwendig sind. Mensch, werde notwendig!«
»Ich muß erst mit dem Studium in Berlin angefangen haben, dann schlage ich zu!« sagte Walter etwas lahm. Er wußte, daß er so auf Ingeborg keinen Eindruck machte. Sie arbeitete in einer sogenannten Aktivgruppe, die von ›Spendern‹ unterstützt wurde. Aufgabe der Gruppe war es, überall dort, wo man protestieren konnte, mit roten Fahnen, Transparenten und Pflastersteinen aufzumarschieren.
Zweimal war Walter mitmarschiert, bei Demonstrationen in München und Nürnberg, natürlich mit einem Schal vermummt. An Ingeborgs Seite hatte er tapfer mitgebrüllt. Dann bekam er Hiebe von der Polizei, die man selbstverständlich nur ›Bullen‹ nannte, wurde vom Strahl eines Wasserwerfers gegen eine Hauswand gedrückt und behielt eine neuntägige Erkältung zurück.
Von da an war Walter nur noch Theoretiker. Aber die muß es ja auch geben, schließlich standen auch Marx und Engels nie im Wasserwerferstrahl. Also erfand Walter die Slogans, die die anderen später auf den Straßen und Plätzen brüllten. Nicht jeder ist zum Nahkämpfer geboren …
»Dein Scheiß-Studium!« antwortete Ingeborg. »Wenn ich dich nicht so gern hätte, würde ich sagen: Kapitalistenknecht! Walter, zeig deinem Alten mal die Zähne. Das brauchen die Opas wie wir den Sex. So was ist für die ein Ersatzkoitus. Sag ihm cool: ›Nein, ich mache in den Ferien, was ich will! Wenn euch das nicht gefällt, verzichtet auf mich.‹ Du wirst sehen, dein Alter wird toben – das ist sein Ersatzbums – und dann klein beigeben, das ist seine Entspannung.«
Man kann sagen, was man will: Auch wenn Ingeborg mit ihren Ansichten und der Wahl ihrer Worte nach bürgerlichen Begriffen nicht gerade zu den zahmen, liebreizenden Mädchen gehörte – ihre Argumente waren zumindest diskussionswürdig. Nur hatte Walter gar kein Interesse mehr daran, es auf eine Kraftprobe mit seinem Vater ankommen zu lassen. Er dachte an Eva Aurichs lange, blonde Haare, an den sanften Blick ihrer stahlblauen Augen, geriet innerlich ins Schwärmen und fand plötzlich Ingeborgs verwaschene Jeans scheußlich und die Boots an ihren schlanken Füßen (die sowieso keiner sah) fürchterlich.
»Wir müssen das abblasen, Ingeborg«, sagte er gespielt traurig. »Im nächsten Jahr sieht alles anders aus.«
»Im nächsten Jahr bist du ein bürgerlicher Sack, wenn das so weitergeht!«
»Die Weihnachtsferien …«
»Da singst du ›Stille Nacht, heilige Nacht‹ vor eurem Weihnachtsbaum und machst dir vor Rührung die Hose voll.«
Es stieß Walter auf einmal unangenehm auf, wie ordinär Ingeborg sein konnte. Das war sie natürlich immer gewesen, aber der Blick für so etwas trübte sich schnell, wenn sie die Bluse auszog und zu einem schnurrenden Kätzchen wurde.
Sie bewohnte ein Zimmer in einem baufälligen Haus am Rande
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