Mit Familienanschluß
klassifizierte ihre Töne als Sehnsuchtsschreie. Drei Hähne und nirgendwo eine Henne, das frustriert. Wieso sind überhaupt drei Hähne hier, wenn es keine Hühner gibt?
Sie ließen die Schafe und Ziegen aus dem Stall, trieben sie auf die Wiese und in den verwahrlosten Weingarten, schlossen das Zauntor und lehnten sich dagegen.
»Lassen wir erst den Ziegengestank aus dem Stall, bevor wir ihn säubern«, sagte Wolters. »Dieser Geruch geht ja unter die Haut!« Er holte tief Atem, als ein Windzug Evas Haar über sein Gesicht wehte. Er strich es weg und meinte, es unter seiner Hand knistern zu hören. Aber es war wohl nur sein Blut, das in seinen Schläfen rauschte. »Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, was Sie geträumt haben, Eva …«
»Geträumt? Wieso?« Sie sah ihn offen und unbefangen an.
Welche Kunst der Verstellung, dachte er voller Bitterkeit und Enttäuschung. Welche Begabung, die Unschuld zu spielen.
»Was man am ersten Tag, beziehungsweise in der ersten Nacht unter einem fremden Dach träumt, soll in Erfüllung gehen, sagt ein alter Volksglaube …«
»Und Sie glauben daran?«
»Warum nicht? Der eine glaubt, wenn man eine Sternschnuppe sieht, ginge ein Wunsch in Erfüllung. Der andere öffnet sein Portemonnaie, wenn der Kuckuck schreit – das soll Geld geben. Der Traum der ersten Nacht in einem fremden Bett gehört zu diesen Spielchen.« Wolters blickte in den Morgenhimmel. Vereinzelte weiße Wölkchen zogen vom Meer herüber, sonst war der Himmel unendlich blau. »Haben Sie keine Wünsche oder Sehnsüchte, Eva?«
»Viele!« Sie lachte. Wolters dachte, daß es wie Glockenläuten klang. »Aber ich träume kaum.«
»Vielleicht, weil Ihnen alle Wünsche erfüllt werden …«
»Oh, alle nicht.« Sie lachte wieder. Und sie sah aus dabei wie ein gefallener Engel. Jedenfalls empfand Wolters es so. »Es wäre doch grausam, wenn man alle Wünsche erfüllt bekäme. Wenn nichts mehr offen bliebe. Ein Leben ohne Wünsche kann eine Qual sein. Ich weiß nicht mehr, wer es war – aber es war ein sehr bekannter Mann, der hat sich das Leben genommen mit der Begründung, das Dasein könne ihm nichts mehr bieten. Er hätte alles bekommen, was er sich je gewünscht hätte.« Wieder lachte sie, und der Wind spielte mit ihren blonden Haaren. »In diese Situation käme ich vermutlich nie. Ich strotze von Wünschen …«
»Ist es möglich, einige davon zu erfüllen?« fragte Wolters, und sein Atem ging schneller.
»Vielleicht …«
»Ganz sicher.« Hermann Wolters schob seinen Arm über das Zauntor. Wie unbeabsichtigt lag er damit um Evas Taille. »Nehmen Sie an, ich wäre eine gute Fee und sage wie im Märchen: Du hast drei Wünsche frei. Was würden Sie sich wünschen?«
»In zehn Minuten gibt es Frühstück!« unterbrach Dorotheas Stimme vom Haus her den romantischen Zauber, in den Wolters unversehens geglitten war. Dorothea hatte die ganze Zeit über am Fenster gestanden und ihren Mann beobachtet.
Nach zwanzig Jahren Ehe kennt man sich genau, aber man ist immer wieder verblüfft, zu welchen Eseleien gerade alternde Männer fähig sind. Als Wolters den Arm um Eva legte, sah Dorothea die Zeit gekommen, mit ihrem Zwischenruf die Idylle zu stören.
»Später«, sagte Wolters und stieß sich vom Zaun ab. Die Tür zum Märchenreich war vorerst zugeschlagen. »Wir sprechen noch darüber, Eva. Gehen wir jetzt den Stall säubern. Aber vergessen Sie nicht: Drei Wünsche haben Sie frei, wie bei der guten Fee.«
Am Kaffeetisch war Wolters etwas freundlicher als gleich nach dem Aufstehen. Unauffällig beobachtete er Eva und Walter, aber sie benahmen sich völlig neutral, tauschten keine heimlichen Blicke, verrieten sich nicht durch unscheinbare Kleinigkeiten. Ein durch und durch raffiniertes Paar!
Außerdem schmeckte der zu schwarz gebrannte italienische Kaffee bitter.
Der Vormittag gehörte Hermann Wolters.
Kaum unten am Strand, machte er sich wieder auf den Weg in die Stadt, um Zeitungen und Illustrierte zu kaufen, wie er behauptete.
Die Familie nahm wenig Notiz davon. Man kannte das von früheren Ferien her. Ohne Zeitungen war Hermann Wolters im Urlaub nur zur Hälfte glücklich. Er brauchte diese Lektüre.
»Ohne Information lebt man an der Zeit vorbei«, war auch ein Leitsatz von ihm. Vor allem aber brauchte er ein wöchentlich erscheinendes Magazin, um sich beim Lesen Seite für Seite heftig zu ärgern und in laute Entrüstung zu verfallen. Es war wie eine Sucht; ohne dieses Magazin fehlte das Salz in der
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