Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
des Gesprächs wirkte der Pfarrer plötzlich beklommen. Peinlich berührt starrte er auf seine Stiefel hinunter.
»Das«, sagte er, »ist ein Aspekt der Geschichte, der schwer auf meinem Gewissen lastet. Mrs. Flitch hat in dieser Sache ihre eigenen Ansichten, aber unglücklicherweise liegt sie vollkommen falsch. Und obwohl ich ihr nichts in der Richtung eingeflüstert habe und sie auch nie in ihrer Annahme bestärkte, muss ich zugeben, dass ich stets zu kleinmütig war, um sie ihr auszureden. Und mein Fehler ist umso schwerwiegender, als dass Mrs. Flitchs Erklärung für die Vorgänge ein unverdient positives Licht auf mich wirft … Wie es aussieht, bekam Mrs. Flitch von irgendjemandem eine Übersetzung von Anatole Frances Roman Thais geschenkt, als sie noch jung und leicht zu beeinflussen war. Die Lektüre muss auf ihren Intellekt tiefen Eindruck gemacht haben. In dem Buch wird anfangs beschrieben, welchen Versuchungen die zönobitischen Eremiten in der Wüste vor den Toren Alexandrias ausgesetzt waren – und als Mrs. Flitch zum ersten Mal Zeugin der Aktivitäten des Poltergeistes wurde, kam sie irrtümlicherweise zu dem Schluss, diese Aktivitäten wären desselben … äh … Ursprungs und hätten dasselbe Ziel, diesmal nur auf mich bezogen. Sie ist der Überzeugung, nur einen Teil des Szenarios mitzuerleben. Sie glaubt, dass mich, wenn sie nicht zuschaut, aufgrund meiner Heiligkeit« – in den Augen des Pfarrers blitzte für einen Augenblick ein Funken von Humor auf – »Geisterharpyien beschmutzen, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und arbeite, und verführerische Kurtisanen allnächtlich meine Enthaltsamkeit auf die Probe stellen … Leider überschätzt sie dabei den Stellenwert, den ich in den Augen des Teufels einnehme, zu sehr. Zweifellos hat er bessere Verwendung für seine Kurtisanen, als sie regelmäßig zu mir zu schicken.« Er seufzte tief. »Und ich habe mich schuldig gemacht, weil ich diesen Irrtum nicht ein für allemal aufgeklärt habe. Wie Sie wissen müssen, ist Mrs. Flitch aus irgendeinem Grund überzeugt davon, dass kein Außenstehender je von diesen vermeintlichen Versuchungen erfahren darf. Ich habe ihr selbst auferlegtes Schweigen ausgenutzt, indem ich es unterließ, die Gründe dafür zu beseitigen. Das ist unverzeihlich – insbesondere, da ich kein ehrenvolleres Motiv aufzuweisen habe als das, dass ich mir aus Gründen der eigenen Bequemlichkeit die Gesellschaft für Parapsychologie vom Hals halten wollte.«
Fen nahm all seinen Ernst zusammen, um seine Meinung auszudrücken, dass diese Sünde lässlich sei. »Und haben Sie«, fragte er, »eine eigene Erklärung für das Phänomen?«
Der Pfarrer, der bis jetzt fast ununterbrochen ernst geblieben war, kicherte plötzlich.
»Manchmal vermute ich«, sagte er, »dass es sich bei meinem Poltergeist um einen Dämon handelt, der wegen ausgemachter Unfähigkeit aus der Hölle verbannt wurde … Aber nein, ich habe wirklich keine Erklärung. Anfangs dachte ich noch viel über die Sache nach, und ich las alles, was ich zu diesem Thema auftreiben konnte. Ich kam aber zu der Einsicht, dass keine Theorie besser oder glaubwürdiger war als die andere, deswegen gab ich es bald auf, mir Gedanken darüber zu machen. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich seit Jahren nicht mehr darüber nachgedacht. Die Gewöhnung, Professor Fen, ist ein unvergleichlicher Segen. Ich habe mich so an meinen Poltergeist gewöhnt, dass manchmal Wochen vergehen, ohne dass ich auch nur einmal an ihn denke.«
Er hielt inne, blickte geistesabwesend zum Fenster im ersten Stock des Pfarrhauses hinauf und wandte sich dann mit einem sympathischen Lächeln Fen zu.
»Seien Sie ehrlich«, sagte er. »Haben Sie ein einziges Wort geglaubt von dem, was ich erzählte?«
»Warum nicht?«, fragte Fen. »Ich denke, dass es praktisch unanfechtbare Beweise für die Existenz von Poltergeistern gibt. Meiner Ansicht nach spricht nichts dagegen, dass sich ausgerechnet hier einer aufhält, und Ihre Reaktion finde ich vollkommen normal. Falls Sie sich darüber hinaus einen Scherz mit mir erlaubt haben, so war es ein äußerst amüsanter Scherz, den ich nur ungern verpasst hätte.«
Der Pfarrer kicherte wieder. »Also gut, Sir«, sagte er. »Und egal, ob Sie es für einen Scherz halten oder die Worte eines Irren oder die Wahrheit – ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie es für sich behalten.«
»Das werde ich ganz bestimmt.«
»Und der Finger …«
»Es tut schon nicht mehr so weh,
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