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Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Voosen
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Chef so laut, dass ich erschreckt zusammenzucke. »Es handelt sich hier alleine um Ihre Verantwortung. Sie sind die Managerin in diesem Projekt, und Sie haben das Angebot erstellt, das unser Unternehmen mehr als hunderttausend Euro kosten wird.« Hunderttausend Euro. Ich schlucke schwer. »Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass die Vereinsbank das Angebot noch am Freitagabend mit Freuden angenommen hat.« Und plötzlich wird mir klar, was geschehen ist. Was geschehen sein muss. Anscheinend habe ich Privates und Geschäftliches doch nicht so strikt auseinander halten können, wie ich mir eingebildet habe. Scheinbar war ich von dem ganzen Simon-Drama so durch den Wind, dass ich am Abend vor der Präsentation irgendwie die alten Beispielzahlen in die Berechnungen eingesetzt habe. Aber nein, ich kann mich genau daran erinnern, Summe für Summe durchgegangen zu sein. Dann kann es nur eins sein. Der dümmste aller Fehler. Der Fehler, über den man sich kaputtlacht, seit es Computer gibt. Ich muss irgendwie das Abspeichern vergessen haben. Wie konnte mir das passieren? Herr Huber hat doch Recht, ich bin seine sorgfältigste und pflichtbewussteste Mitarbeiterin.
    »Haben Sie vielleicht irgendetwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«, erkundigt sich mein Chef. Ich hebe den Kopf und sehe in sein strenges Gesicht, das plötzlich vor meinen Augen zu verschwimmen beginnt. Ich öffne den Mund und höre einen lang gezogenen Ton, der klingt wie das Wimmern einer getretenen Katze.
     
    Das Nächste, was ich höre, ist das Klatschen von Haut auf Haut und ein Stimmengewirr um mich herum. Verwirrt öffne ich die Augen und nehme aus dem Augenwinkel eine große, behaarte Hand wahr, die in meinem Gesicht herumklopft. Sie gehört zu einem Mann, dessen freundliches, bärtiges Gesicht sich jetzt über mich beugt:
    »Na, da sind Sie ja wieder, Frau Sonntag«, sagt er und grinst mich an, wobei er überdimensionale Schneidezähne freilegt.
    »Kennen wir uns?«, will ich ihn fragen, doch irgendwie fühlt sich meine Zunge ungewöhnlich breit und schwer in meinem Mund an. Angestrengt versuche ich, einen Ton rauszubringen, doch der Mann winkt ab:
    »Reden Sie erst mal nicht, bleiben Sie einfach liegen und atmen gleichmäßig ein und aus.« Na schön. Atmen ist ja immer gut. Ich ziehe Luft durch meine Nase in die Lungen und langsam erweitert sich mein Gesichtsfeld wieder ein wenig. Mit Schrecken stelle ich fest, dass ich mitten in Herrn Hubers Büro auf dem Boden liege, unter mir irgendeine Art Stoffdecke, die Unterschenkel auf einen Stuhl hochgelagert. Jetzt kommt auch die Erinnerung wieder hoch, und ich wappne mich für das unvermeidbare Einsetzen der Anzeichen für Panik: Beschleunigter Herzschlag, Atemnot, Verzweiflung. Merkwürdigerweise verspüre ich nichts von alldem. Sonderbar. Noch einmal lasse ich das Erlebte Revue passieren. Ich habe mein Projekt vergeigt. Den Vereinsbank-Auftrag, ein Riesending und meine erste eigenverantwortliche Aufgabe als Managerin. Mein Fehler kostet Wisenberg Consulting das stolze Sümmchen von einhunderttausend Euro. Ehrfürchtig lasse ich die Zahl in meinen Gedanken nachklingen, lausche in mich hinein, doch keine Reaktion. Nun stelle ich sie mir gar bildlich vor, eine kerzengerade Eins mit fünf zackigen Nullen dahinter. Nichts! Meine vollständige Emotionslosigkeit ist wirklich beunruhigend, stelle ich fest, ohne auch nur im Mindesten davon beunruhigt zu sein. Wirklich, meine ich. Ich lasse meine Augen durch den Raum wandern und sehe, einige Meter entfernt am Fenster stehend, Herrn Huber und Benjamin miteinander tuscheln. Mein Blick trifft den meines Chefs. Er wirkt unergründlich und löst wiederum rein gar nichts in mir aus. Aber soviel klaren Menschenverstand besitze ich noch, dass ich mir merkwürdig vorkomme, hier wie eine Figur aus einer Kafka-Erzählung hilflos auf dem Rücken zu liegen, die Füße in die Höhe gestreckt. Ich hebe den Kopf an und versuche mich aufzurichten. Dabei stelle ich erfreut fest, dass die Verspannung in meinem Rücken sich so gut wie aufgelöst zu haben scheint. Ich schwinge meine inzwischen nur noch bestrumpften Füße von der Sitzfläche des Sessels und suche den Raum nach meinen Schuhen ab, als der freundliche Mann von eben wieder bei mir ist.
    »Bleiben Sie noch einen Moment liegen, Frau Sonntag«, fordert er mich auf und drückt mich mit sanfter Gewalt in eine liegende Position zurück. Ich öffne den Mund, um Protest zu erheben, als er fortfährt: »Ich habe Ihnen ein ziemlich

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