Mit geschlossenen Augen
dabei empfinden mochte, meinen schläfrigen, reglosen Körper zu betrachten; ich brauche nicht zu sehen, ich muss fühlen, und in dieser Nacht habe ich Valerio gefühlt. Als ich ihn ärgerlich brummen hörte, weil er sein Feuerzeug nicht fand, musste ich ein Lachen unterdrücken; mit rauer Stimme und ohne die Augen zu öffnen, sagte ich ihm, ich hätte es aus seiner Brusttasche rutschen sehen, als er das Hemd zuvor auf den Vordersitz geworfen hatte. Er beschränkte sich darauf, mir einen kurzen Blick zuzuwerfen, dann öffnete er das Wagenfenster und ließ die Kälte herein, die ich vorher nicht gespürt hatte.
Nach minutenlangem Schweigen warf er die Zigarettenkippe zum Fenster raus und sagte: »Ich hab so was noch nie gemacht.«
Ich wusste, was er damit meinte und dass nun der Moment der ernsthaften Gespräche gekommen war, mit denen wir diese prekäre, gefährliche und zugleich wahnsinnig aufregende Beziehung kaputtmachen oder im Gegenteil festigen konnten. Behutsam näherte ich mich seiner Schulter,
legte eine Hand darauf und auf die Hand meine Lippen. Dann wartete ich ein paar Sekunden, bevor ich etwas sagte, obwohl ich genau wusste, was ich sagen wollte.
»Dass du so etwas noch nie gemacht hast, bedeutet nicht, dass es falsch war.«
»Aber auch nicht richtig«, erwiderte er und zog an einer neuen Zigarette.
»Richtig oder falsch, was hat das schon zu bedeuten? Wir haben es genossen und den Moment voll ausgeschöpft, das ist doch die Hauptsache«, meinte ich und biss mir auf die Lippen, überzeugt, dass ein erwachsener Mann nicht viel auf das altkluge Geschwätz eines kleinen Mädchens geben würde.
Stattdessen warf er seine Zigarette weg, drehte sich zu mir um und sagte: »Das ist es, was mich an dir um den Verstand bringt: Du bist reif und intelligent, und du hast eine Wahnsinnsleidenschaft in dir stecken.«
Er ist der Mann, Tagebuch. Er hat sie erkannt. Meine Leidenschaft, will ich sagen. Auf der Rückfahrt meinte er, es wäre besser, unseren Nachhilfeunterricht aufzugeben, denn er würde mich nie mehr als Schülerin betrachten können; außerdem trenne er Arbeit und Vergnügen grundsätzlich. Ich sagte: »Einverstanden«, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und stieg aus, während er im Auto wartete, bis ich in der Haustür verschwunden war.
24. Februar
Heute Morgen bin ich nicht in die Schule gegangen, ich war zu müde. Außerdem ist heute Abend die Premiere unseres Theaterstücks, und damit bin ich entschuldigt.
Gegen Mittag habe ich eine SMS von Letizia bekommen, die mir mitteilte, dass sie Punkt neun im Zuschauerraum sitzen und nach mir Ausschau halten würde. Tja, Letizia ... gestern habe ich überhaupt nicht an sie gedacht ‒ wie könnten auch Perfektion und Perfektion nebeneinander bestehen? Gestern hatte ich Valerio, und das genügte mir; heute bin ich allein und genüge mir nicht (aber warum genüge ich mir alleine nicht mehr?), ich will Letizia.
P.S.: Dieser Idiot von Fabrizio! Hatte es sich doch tatsächlich in den Kopf gesetzt, heute Abend mit seiner Frau im Theater aufzukreuzen! Aber ich hab es ihm zum Glück noch einmal ausreden können ‒ so eigensinnig ist er nun doch wieder nicht.
1 Uhr 50
Ich hatte heute Abend keine Spur von Lampenfieber, im Gegenteil, ich war sogar etwas apathisch und konnte es kaum erwarten, alles hinter mich zu bringen. Die andern hüpften aufgeregt herum, ich lugte durch den Vorhang in den Zuschauerraum und hielt Ausschau nach Letizia. Aber ich sah sie nicht, und irgendwann rief Aldo, der Dramaturg, mir zu, wir müssten jetzt anfangen. Die Lichter im Saal gingen aus und die Bühnenscheinwerfer an. Ich schoss wie ein Pfeil auf die Bühne, genauso spritzig, wie der Regisseur es während der Proben immer von mir verlangt hat, ohne dass es mir da aber gelungen wäre. Eliza Doolittle hat alle überrascht, sogar mich selbst, sie legte eine Natürlichkeit in Gesten und Ausdruck an den Tag, die absolut neu war ‒ ich war begeistert. Vom Podium aus versuchte ich wieder, Letizia zu orten, aber ebenfalls vergeblich. So habe ich gewartet, bis wir mit dem Stück durch waren, um hinter dem geschlossenen Bühnenvorhang hervor die Zuschauerreihen noch einmal durchzugehen und ihr Gesicht zu entdecken. Ich sah meine Eltern, die total im Himmel waren und begeistert applaudierten; auch Alessandra, die ich seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, war gekommen; von Fabrizio glücklicherweise keine Spur.
Dann fiel mein Blick auf sie, ihr Gesicht strahlte vor Freude, während sie wie
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