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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Panarello
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schweren Schulrucksack über eine Schulter gehängt, ungekämmt und mit gerötetem Gesicht. Als ich ihn mit seinem leicht ironischen, aber anziehenden Lächeln daherkommen sah, hielt ich mitten im Satz inne und stand einen Moment lang mit offenem Mund da. Dann sagte ich rasch »'tschuldigung« zu meinen Freunden und rannte ihm auf der Straße entgegen. Ich glaube, ich bin wie ein kleines Kind auf ihn zugestürzt, total spontan und direkt. Er sagte mir, er hätte Lust gehabt, mich zu sehen, mein Lächeln und mein Duft würden ihm fehlen, er hätte so was wie eine Lolita-Abstinenzkrise.
»Was gucken die Babygläschen?«, fragte er dann mit Blick auf meine
    Schulkameraden.
»Die wer?«, fragte ich ihn.
»Die Babygläschen.« Er erklärte mir, dass er so die Jugendlichen nenne,
weil sie einander alle gleich sähen, als gehörten sie zu einer einzigen großen Herde am Rande der Erwachsenenwelt.
    »Hm, komische Art, uns zu definieren ... Aber was sie angucken, ist doch klar: dein Motorrad und den faszinierenden Typ, der draufsitzt. Sie beneiden mich, weil ich mit dir rede. Morgen fragen sie mich bestimmt: Wer war denn das, mit dem du da gesprochen hast?«
    »Und du wirst es ihnen sagen, nicht?«, meinte er im Brustton der Überzeugung.
So viel Selbstsicherheit irritierte mich ein wenig, deshalb sagte ich: »Vielleicht ja, vielleicht nein. Kommt darauf an, wer fragt und wie er fragt.«
Ich beobachtete, wie er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, bewunderte seine langen schwarzen Kinderwimpern und die Nase, die meiner eigenen aufs Haar glich. Und ich sah, wie sein Penis anschwoll, als ich mich flüsternd seinem Ohr näherte: »Ich möchte, dass du mich nimmst, hier, auf der Stelle, vor allen.«
Er starrte mich an und lächelte nervös, mit angespannten Lippen, als habe er Mühe, seine aufkommende Erregung zu beherrschen. »Loly, Loly ...«, sagte er, »willst du mich um den Verstand bringen?«
Ich lächelte ihn an und nickte dabei langsam mit dem Kopf.
»Lass mich deinen Duft riechen, Lo«, sagte er.
Also habe ich ihm meinen weißen Hals hingehalten und ihn daran schnuppern lassen, bis er seine Lungen mit meinem Vanille-MoschusAroma aufgetankt hatte. »Lo«, sagte er dann, »ich fahre jetzt.«
Er durfte nicht fahren, diesmal wollte ich das Spiel bis zum Exzess treiben.
»Möchtest du wissen, was für einen Slip ich heute anhabe?«
Er war dabei, den Motor wieder anzulassen, hielt aber inne, starrte mich wie benebelt an und nickte.
Da habe ich meine Hose ein Stück weit aufgeknöpft, den Bund nach außen gedreht und ihm gezeigt, dass ich überhaupt keinen Slip trug. Er blickte mich fragend an.
»Ich liebe es, ohne Unterhose aus dem Haus zu gehen, das mache ich oft«, sagte ich. »Weißt du noch den Abend, an dem wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben? Da hatte ich auch keine an.«
»Du machst mich noch wahnsinnig.«
Ich beugte mich vor, bis ich seinem Gesicht ganz nahe war, gefährlich nahe. Dann blickte ich ihm in die Augen und sagte: »Ja, genau das will ich.«
Wir haben uns viele Minuten lang schweigend angesehen, mitunter schüttelte er den Kopf und lächelte. Irgendwann näherte ich mich wieder seinem Ohr und flüsterte: »Heute Nacht will ich von dir vergewaltigt werden.«
»Nein, Lo, solche Spielchen sind gefährlich«, sagte er. »Vergewaltige mich«, habe ich maliziös, aber bestimmt erwidert. »Wo, Mel?« »Dort, wo wir das erste Mal waren.«
29. März 1 Uhr 30
    Ich stieg aus dem Auto aus und schlug die Tür hinter mir zu. Er blieb sitzen und wartete eine Weile, bevor er den Motor wieder anließ und mir in die schmalen, finsteren Gassen folgte.
    Mutterseelenalleine stolperte ich über das holprige Pflaster, in der Ferne hörte ich das Rauschen des Meers, dann war es plötzlich weg. Ich sah zu den Sternen hinauf und glaubte, den lautlosen Klang dieser blinkenden Wesen vernehmen zu müssen. Dann ein Motorengeräusch und die Scheinwerfer seines Wagens. Ich habe die Ruhe bewahrt, alles sollte so laufen, wie ich es geplant hatte: er der Täter, ich das Opfer ‒ körperlich sein Opfer, gedemütigt und unterworfen, nicht aber geistig. Den Geist, meinen und seinen, kontrolliere ich, nur ich. Ich bin es, die dies alles will, ich bin die Herrscherin. Er ist kein echter Herrscher, sondern ein Herrscher, der in Wirklichkeit mein Sklave ist, Sklave meines Wollens und meiner Gelüste.
    Er fuhr rechts ran, stellte Motor und Scheinwerfer ab und stieg aus. Einen Moment lang dachte ich schon, ich sei wieder allein, da

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