Mit Haut und Haar (German Edition)
vielleicht war der Vergleich ein wenig ungerecht. Wahrscheinlich war es normal, sie nabelten sich langsam ab. Wäre ein solches Ereignis zehn Jahre später eingetreten, nach dem die beiden längst die Pubertät hinter sich hatten, wären sie vielleicht stolz auf sie gewesen und hätten sie schon alleine deswegen begleitet. Vielleicht konnte man das in diesem Alter, in dem sie sich jetzt befanden, nicht erwarten. Trotzdem bemerkte Clarissa, nicht zum ersten Mal in letzter Zeit, dass sie mehr an sich denken musste, statt immer kompromisslos alles für den Rest der Familie zu tun. Vielleicht sollte sie sich einfach auch mal ausklinken, bei passender Gelegenheit.
»Clarissa, ich finde nicht, dass wir die beiden jetzt schonen sollten«, sagte Daniel. »Ich bestehe darauf, dass sie uns begleiten. Es ist deine erste Ausstellung!«
»Ich bestehe nicht drauf«, sagte Clarissa. »Es wird sicher mal wieder eine Theateraufführung geben oder ein Fußballspiel, da wird mein Platz auch leer bleiben.«
Sie lief nach draußen und kümmerte sich nicht mehr darum ob die Kinder nun mit wollten oder nicht. Daniel blieb unschlüssig stehen.
»Das ist sehr verletzend für eure Mutter«, sagte er zu Charlotte.
»Ach«, sagte Charlotte gelassen. »Mum versteht das.«
»Seid ihr tatsächlich dieser Meinung?« fragte Daniel. »Dass eure Mutter alles versteht und alles verzeiht?«
Damian nickte. »Alles vielleicht nicht, aber solche Sachen schon«, sagte er und lief schulterzuckend nach oben in sein Zimmer.
Daniel verließ nachdenklich das Haus und folgte seiner Frau zum Auto. Patrizia hatte darauf bestanden, dass Clarissa pünktlich zum Beginn der Ausstellung anwesend sein sollte und sie schafften es gerade noch um fünf Minuten vor zehn Uhr die Galerie zu betreten. Clarissa stellte ihr Daniel als ihren Mann vor und Daniel reichte Patrizia mit seinem schönsten Lächeln im Gesicht die Hand. Sie konnte nicht anders, sie musterte Patrizia ganz genau. Es hatte nichts mit Daniel zu tun. Patrizia war eine tolle Frau und sie hatte sie gehabt. Oder sich von ihr nehmen lassen, wie auch immer man das sehen mochte. An diesem Tag trug sie einen schwarzen Hosenanzug, der mit Sicherheit von einem teuren Designer stammte, denn er saß einwandfrei, wirkte schlicht, aber sehr edel und stand ihr ausgezeichnet. Wie immer hatte sie ihre wilden Locken im Nacken zu einem lockeren Zopf gebunden, aber ein paar Strähnen hingen lasziv an der rechten Seite ihrer Stirn herunter und sie sah umwerfend aus. Während Daniel sich mit einem Sektglas in der Hand durch den riesigen Raum bewegte und sich die Bilder seiner Frau in diesem völlig anderen Umfeld anschaute, die Kommentare darunter gründlich durchlas, stieß Patrizia mit Clarissa an.
»Auf dich«, sagte sie, und konnte es sich nicht verkneifen, unter dem hohen Bistrotisch, an dem sie beide standen, nach ihrer Hand zu greifen und sie leicht zu streicheln. Clarissa lächelte und zog, mit einem kurzen Seitenblick auf ihren Mann, ihre Hand zurück.
»Er wirkt sympathisch«, sagte Patrizia. »Gar nicht wie einer der seine Frau bescheißt.«
Clarissa lächelte.
»Na und, ich wirke doch auch nicht wie eine die ihren Mann bescheißt, oder?«
Patrizia grinste und tätschelte ihre Hand.
»Nein. Aber ich bin froh dass du es getan hast. Wann sehen wir uns wieder? Alleine meine ich?«
Ein sehnsuchtsvoller Blick traf Clarissa und augenblicklich straffte sich ihre Körperhaltung. Ja, diese Frau gab ihr etwas. Nicht nur die Möglichkeit, ihre Bilder auszustellen, es war so viel mehr und es ging um Dinge die noch viel wichtiger waren als ihre Bilder. Sie gab ihr das Gefühl, sehnsüchtig begehrt zu werden. Es stärkte ihr Selbstbewusstsein auf eine Art dass sie jetzt schon, wenige Tage nach ihrem ersten Liebeserlebnis mit Patrizia bemerkte, wie positiv sich das Ganze auf sie auswirkte. Jahrelang hatte sie sich ohne es selbst wirklich zu merken, immer schwächer gefühlt, immer grauer und zu der Zeit als sie Daniel auf die Schliche gekommen war, was er hinter ihrem Rücken trieb, hatte sie schon seit längerer Zeit das Gefühl gehabt, eine kleine graue Maus zu sein. Aber Patrizia hatte ihr gezeigt dass sie das nicht war, ganz im Gegenteil. Ja, sie tat ihr unglaublich gut. Ihre Blicke waren unglaublich sehnsüchtig und sie fühlte, Patrizia hätte alles stehen und liegen lassen für ein paar ruhige, unbeobachtete Minuten mit ihr.
»Wann immer du möchtest«, sagte Clarissa lächelnd.
»Morgen«, sagte Patrizia. Sie
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