Mit Haut und Haaren
ich‹?«
Ranzenhofer bemerkte Enriques Anspannung. Sein Interesse. Er hatte angebissen.
So dachte er oft auch nach einem Treffen mit Wählern: ›Diese Stimmen hätte ich auch wieder im Sack.‹
Das Verlangen, den UPS -Boten wiederzusehen,
trieb ihn. Sein Angebot, ihm zu helfen, war aufrichtig gemeint. Doch er fürchtete,
dass Enrique die Hilfe nicht einfach so annehmen würde. Darum musste er, Jason,
sich zu Methoden herablassen, die er eigentlich verabscheute.
»Du weißt genau, was ich meine. Ich will das Wort hier nicht nennen.
Es ist ein hässliches Wort. Es darf nicht zwischen uns stehen. Für mich sind alle
Menschen legal. Alle Brooklyner. Alle New Yorker. Jeder Mensch, der hier lebt. Le-gal,
hörst du?«
Manchmal muss man Freundschaft erzwingen.
Unter dem erstbesten Namen, der ihm eingefallen war, hatte Ranzenhofer
zu reservieren versucht. Jones, Peter Jones, doch die Rezeptionistin hatte nur gemeint:
»Kommen Sie einfach vorbei, wir haben genug Zimmer frei.«
»76-02 Queens Boulevard«, sagte er und wiederholte sicherheitshalber:
»76-02 Queens Boulevard. Nicht weit von da, wo du wohnst. Wie du siehst: Ich denke
an dich.«
[327] Jetzt sitzt er auf seinem Bett in Albany, und sein Blick bleibt an
seinem Bauch hängen. Zu dick. Speckrollen. Haare um den Nabel, die ihn deprimieren.
Aber er sagt: »Du machst mein Leben erst schön. Dafür will ich dir danken.«
»Kann jetzt nicht«, sagt Enrique.
»Ich möchte dich sehen. Morgen ist ein Fest der türkischen Gemeinde.
Danach hätte ich Zeit. Boulevard Motor Inn? Um vier Uhr?«
Es bleibt still.
»Vier Uhr«, insistiert Ranzenhofer. »Enrique, bitte. Du weißt, was du
mir bedeutest.«
Manchmal wissen Leute nicht, wie glücklich sie einen machen, dann muss
man sie daran erinnern.
»Du hast mir die Augen geöffnet«, sagt Ranzenhofer,
während er sich über den Bauch reibt. »Jetzt kann ich nicht wieder wegsehen.«
Jahrelang hatte er so gelebt, als gäbe es nichts Höheres als ein gebügeltes
Hemd, als sei der Gipfel der Lust ein reichhaltiges Essen. Als brauche man nur seine
Kinder zu lieben und niemanden sonst. Jahrelang hatte seinem Leben Schönheit gefehlt.
Dann war die Schönheit erschienen, in Gestalt eines UPS -Boten.
Wenn Gott existiert, und daran zweifelt er nicht, muss er damit eine Absicht verfolgen.
Es kommt keine Antwort. Ranzenhofer legt auf, keine Antwort ist gut.
Enrique wird dort sein.
Jason zittert noch immer, selbst kurz darauf unter der Decke. An ihm
ist nichts Berechnendes mehr.
[328] 8
In Leas Schlafzimmer stehen ein Bett, zwei Nachttische, ein
großer Kleiderschrank sowie ein Bücherregal, das zur Hälfte
mit Literatur über Völkermord gefüllt ist.
Sie zieht sich schnell aus.
Auf dem rechten Nachttisch steht ein gerahmtes Hochzeitsfoto.
Lea zieht ihren Ehering ab und legt ihn auf das Nachtschränkchen links.
»Das ist nicht nötig«, sagt Roland. Er trägt nur noch seine Unterhose.
»Was?«
»Dass du wegen mir deinen Ehering ablegst. Der Ring stört mich nicht.«
»Ich lege ihn immer ab, wenn ich Sex habe. Dann will ich vollkommen nackt
sein, auch ohne Schmuck.«
Lea liegt auf dem Bett und schaut ihn lächelnd an.
Bevor er sich ganz auszieht, beugt er sich vor, um das Hochzeitsfoto
näher in Augenschein zu nehmen. »Auf dem Bild seht ihr glücklich aus«, sagt er.
»Es war ein schöner Tag. Soll ich das Foto wegstellen? Stört es dich?«
»Ach was, überhaupt nicht.«
Er legt sich neben sie, streichelt ihr über den Bauch, über die Brüste.
Er küsst sie, betastet ihr Geschlecht, doch er wagt aus irgendeinem Grund nicht,
es anzusehen. Obwohl er sonst immer gern alles erforscht, er ist nicht umsonst Wissenschaftler.
[329] Die Lust, die Maschine, die, einmal in Gang, alle anderen Antriebe
macht, regt sich nun endlich doch. Erst wie zuvor noch als Neugier verkleidet, dann
als die Lust selbst, soweit sich diese von Neugier überhaupt unterscheiden lässt.
Er legt sich auf sie, schaut noch einmal auf das Foto der Hochzeit, Symbol
des Eheglücks, eines Mysteriums, das, wie ein Mönch ihm einmal erklärte, eines der
größten überhaupt ist, und dringt dann fast mühelos in sie ein. Plötzlich hört er:
»Geh weg.«
Die Maschine hält inne.
Er schaut ihr ins Gesicht.
»Dich hab ich nicht gemeint«, sagt sie. »Der Kater ist aufs Bett gesprungen.
Das fette Monster.«
Roland dreht sich um. Am Fußende sitzt das fette Monster und schaut ihn
an.
Er geht von Lea herunter, und sie versucht, erst nur mit dem
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