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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Fuß, dann
auch mit den Händen, den Kater vom Bett zu vertreiben. Endlich gelingt es. Dann
legt sie sich wieder hin.
    Und plötzlich überkommt ihn Zuneigung, zu ihr, ihrem mageren Körper,
ihrem langen Haar, ihren Brüsten, die zu groß wirken für ihre Statur, Zärtlichkeit,
weil sie den Kater so ungeschickt vom Bett verjagte, wegen des Hochzeitsfotos, des
Dufts, der hier im Schlafzimmer hängt, ein ganz spezieller
Geruch nach Familie, ihn rührt ihre extrem bleiche Haut. Er stellt sie sich am Rand
eines Massengrabs vor.
    Roland zieht sie an sich, doch was ihn erregt, ist nicht so sehr seine
Zuneigung und schon gar nicht das Massengrab – warum ihm dieses Bild auf einmal
vor Augen steht, ist ihm selber ein Rätsel. Größere Ausbrüche von [330]  Phantasie hat
er bisher kaum an sich feststellen können. Was ihn erregt, ist das Hochzeitsfoto,
ihr Mann, der abwesend und doch irgendwie anwesend ist, eine Krawatte, auf dem Nachttisch
liegengeblieben, Pantoffeln neben dem Bett, ein vager
Duft nach Aftershave, das
nicht seines ist – er bildet sich ein, dass ihr Mann in der Tür steht und zuschaut,
nichts sagt, einfach nur zuschaut, und während er sich das vorstellt, gleitet er
wieder in sie hinein und vögelt sie, nicht sanft, aber
auch nicht besessen, höchstens von dem Gedanken, dass hinter ihm in der Türöffnung ihr Mann steht und zuschaut und dass er, Roland, nur
ein wenig nach rechts zu blicken braucht, um diesen Mann wiederzusehen, in einer
jüngeren, glücklicheren Version, im Hochzeitsanzug, den er seither vermutlich nie
wieder getragen hat. Was ihn vor allem erregt, ist das Foto des Mannes, der anwesend
und doch wieder nicht anwesend ist.
    Während er spürt, dass er gleich kommt, und sie sagt: »Warte noch einen
Moment«, während die Maschine der Lust vor sich hin stampft,
schwer arbeitet und keucht, hört er hinter sich plötzlich ein »Mama!«. Er spürt,
wie sie erstarrt, die Frau, die unter ihm liegt, wie sie sich verkrampft. Er schaut sich um. In der Türöffnung
steht ein Mädchen, rotes Haar, karottenrote Locken, sie schaut ihn an, ohne Erstaunen,
ohne die geringste Regung, er geht von Lea herunter, deckt sich zu.
    Und Lea tritt in Aktion. Sie steigt aus dem Bett, schlängelt sich in
ihren Morgenmantel, als sei der ihre richtige Haut, als sei die ihre so bleich,
dass sie ihr als Hülle nicht mehr dient, und noch bevor sie bei ihrer Tochter ist,
fängt die an zu heulen, weder hysterisch noch leise, eher so wie [331]  Kinder heulen,
die schlecht geträumt haben, und dann bringt Lea sie weg. Die Schlafzimmertür wird
geschlossen.
    Er ist allein und fragt sich, ob er jetzt aufstehen soll, sich blitzschnell
anziehen und geräuschlos verschwinden, er kennt sich mit der Etikette nicht so genau
aus.
    Nein, doch nicht allein. Der Kater springt auf das Bett. Er ist nicht
allergisch gegen Katzen, aber auch kein besonderer Katzenliebhaber, er spricht ihre
Sprache nicht. Zwischen Tieren und ihm hat es nie recht funktioniert. Ein paarmal
war er mit seinem Sohn auf dem Kinderbauernhof gewesen. Aus Pflichtgefühl hatte er die Tiere gestreichelt, das eine etwas
lieber als das andre, doch einen wirklichen Draht zu ihnen hat er nie gefunden.
Die tiefe Verbundenheit, die er zwischen seinem Sohn und den Ziegen gespürt hatte,
den Lämmchen und Ponys, hat er nie nachvollziehen können oder wollen.
    Mit dem Knie schiebt Roland den Kater vom Bett.
    Vielleicht wäre aufstehen besser, doch er wagt das Schlafzimmer jetzt
nicht zu verlassen, bleibt darum lieber unter der Decke. Nicht gelähmt, aber unschlüssig.
    Auf dem linken Nachttisch liegt ein Stapel Bücher. Er nimmt eins. Kertész,
den Namen hat er schon mal gehört. Er schlägt das Buch an einer willkürlichen Stelle
auf und fängt an zu lesen, kann sich aber nicht konzentrieren. Er hört Geräusche,
eine Toilettenspülung, die leise Stimme von Lea. Offenbar
hat ihre Tochter sich wieder beruhigt. Der Kater springt auf das Bett. »Weg!«, ruft er, »gsch!« Er schlägt dem Tier mit dem Buch auf den Kopf.
Der Kater schießt davon und bricht unter dem Bett in klägliches Miauen aus.
    [332]  Nicht genug, dass ich seine Frau ficke,
denkt Oberstein, jetzt misshandle ich auch noch seine Katze. Das geht zu weit.
    Er schämt sich, aber nicht für das Vögeln der Frau des anderen. Lea hat
ihn hierhergelockt, ihn in diese Situation manövriert; ihm könnte man höchstens
vorwerfen, dass er aus lauter Höflichkeit wieder mal zu beflissen
war, den Erwartungen der anderen zu

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