Mit Haut und Haaren
Enrique war
kein Feind, und er würde das auch nie werden, aber trotzdem. Ein paar Informationen
konnten nie schaden.
Das Detektivbüro arbeitete schnell und diskret. Innerhalb einer Woche
berichteten sie ihm, dass alles, was Enrique ihm gesagt hatte, stimmte. Nur hatte
Enrique vergessen zu erwähnen, dass seine Sozialversicherungsnummer nicht stimmte.
Die Nummer stammte wahrscheinlich von jemand anderem.
Die zwei Detektive saßen in einem Auto ein paar Straßen von Ranzenhofers
Wohnung entfernt; Ranzenhofer selbst saß auf dem Rücksitz.
»Wie, ›sie stimmt nicht‹?«, hatte er gefragt.
»Wie meinen Sie das?«
Er hatte nervös an einem seiner Manschettenknöpfe gedreht, doch die Detektive
hatten geschwiegen.
»Meinen Sie, er ist illegal?«
»Das erscheint uns als logische Konsequenz«, hatte der Detektiv am Steuer
gesagt. Dann hatten sie ihm eine Liste mit jenen Daten überreicht, die sie bis jetzt
herausgefunden hatten: Telefon- und Kontonummern, seine Adresse, Anschriften von Verwandten und Freunden, Name und Adresse der Bar,
in der er ab und zu einen trinken ging.
»Illegal«, hatte Ranzenhofer mit kaum verhohlenem Entzücken gesagt, so
wie andere die Namen »Picasso«, »Monet« [324] oder »Warhol« aussprachen. Er merkte
es selbst; hoffentlich hatten die Detektive es nicht
gehört.
Doch sie sagten nichts, saßen nur regungslos da, schauten ihn nicht einmal
an.
Verwirrt war er darauf nach Hause gegangen, wo er seine Frau in Gedanken
versunken auf den Mund geküsst hatte. Im Bad hatte er sich auf der Toilette niedergelassen,
das Gesicht in den Händen vergraben, und war eine endlose Weile so sitzen geblieben.
Am nächsten Nachmittag hatte er Enrique angerufen.
»Hier Ranzenhofer«, sagte er.
»Was?«
»Jason Ranzenhofer. Weißt du nicht mehr? Der Bezirksbürgermeister von
Brooklyn.«
»Bin an Arbeit.«
»Ich bin auch an der Arbeit, Enrique«, sagte der Bürgermeister. »Aber
ich habe dir Hilfe versprochen. Weißt du noch? Und ich halte meine Versprechen.
Ich werde dir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Er kicherte über sein Wortspiel. Er war so nervös. Ab und zu kam es vor,
dass er bei einer Rede einen selbst ausgedachten Witz vorlesen wollte, aber schon
vorher loslachen musste.
»Woher diese Nummer?«
»Gefunden. Hast du heute Nachmittag Zeit? Wollen wir uns treffen? Im Boulevard Motor Inn. Das ist ein idealer Ort. Auf
dem Queens Boulevard. Nie viele Gäste. Da können wir in aller Ruhe reden.«
Ein befreundeter Politiker hatte ihm einmal erzählt, dass [325] man sich
im Boulevard Motor Inn diskret und zu erträglichen Preisen verabreden konnte.
Ranzenhofer war es besser erschienen, sich nicht in Brooklyn zu treffen. Zwar gibt es auch dort genug Leute, die ihn immer noch
nicht erkennen, aber zunehmend häufiger wird er auf der
Straße auch schon von Wildfremden gegrüßt.
In Queens wird die Stadtteilzeitung von Brooklyn nicht verteilt, in der
er immer mit Foto firmiert, und so kann er sich dort
etwas freier bewegen. Das Blättchen erscheint auf seine Initiative und wird gratis
jedem Brooklyner Haushalt zugestellt; darin hat er eine feste Kolumne, und über
dem Beitrag ist stets sein Foto. Es macht ihm Vergnügen, so einen Beitrag zu schreiben.
Er hat im Grunde nur eine repräsentative Funktion, aber Demokratie lebt nun mal
von Symbolen.
»Keine Zeit«, hatte Enrique gesagt. »Hilfe nicht nötig. Sehr nett. Aber
nicht nötig. Nicht treffen.«
»Aber Enrique«, hatte Jason in dem pastoralen Tonfall erwidert, den Politiker
und manche Lehrer von Zeit zu Zeit anschlagen müssen, um ihre Schäfchen in die richtige
Richtung zu treiben. Er machte sich keine Illusionen. Er wusste, wie das System
funktionierte. »Leute wie du können immer Hilfe gebrauchen. Und das Boulevard Motor
Inn liegt am Queens Boulevard, nicht weit von deiner Wohnung.«
Jetzt musste er dranbleiben. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn
er jetzt aufgäbe.
Für einen Moment blieb es still am anderen Ende.
»Weiß nicht, was Sie meinen.«
Jason hatte gelacht. Doch kein Gekicher diesmal. [326] Gespieltes Gelächter.
»Das weißt du genau. Sollen wir dem Kind einen Namen geben, ›Leute wie du‹, Enrique?«
Er hasste sich selbst, verachtete sich, aber er musste es tun, es ging
nicht anders. So waren die Menschen. Manchmal musste man sie mit unkonventionellen
Mitteln zum Zuhören bringen. Das war Politik. In einer wahren Demokratie ist alles
politisch.
»›Leute wie
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