Mit Haut und Haaren
genügen. Für die Misshandlung der Katze, dafür
schämt er sich. Er mag ja kein großer Tierfreund sein, aber ein Sadist ist er nicht.
Aus Scham versucht er, sich in das Buch zu vertiefen, das er immer noch
in der Hand hält.
Endlich ist sie wieder da. Sie schließt die Schlafzimmertür, noch bleicher
als sonst. Sie wirkt auf ihn ein wenig wie eine kranke Fee, nicht hässlich, vielleicht
sogar schön, aber doch schön auf irgendwie unheimliche Art. Ein Engel des Todes,
der sich schämt für seinen Beruf. Darum spricht sie so leise, weil sie sich schämt.
»Sie schläft«, sagt sie kaum hörbar, aber
mit einer Selbstverständlichkeit, als sei die Kleine auch sein Kind und als hätte
er das hier schon öfter erlebt.
Sie setzt sich ans Fußende des Betts.
»So eine Katastrophe«, sagt sie, mehr zu sich als zu ihm. »Davon wird
sie ein Trauma bekommen. Darüber kommt sie nie mehr hinweg. Wir haben ihr Leben
verpfuscht. Das ist schlimmer als Holocaust.«
»Ach was«, sagt Oberstein. »Sieh die Sache doch mal nüchtern. Was hat
deine Tochter gesehen? Einen Mann bei dir im Bett, oder? Morgen hat sie das längst
wieder vergessen.«
[333] »Einen nackten Mann.«
»Okay, einen nackten. Wenn sie fragt, was hat der Mann da im Bett gemacht,
dann sagst du, er war krank, er hatte was Schlechtes gegessen. Durchfall, Brechen,
das volle Programm, und dann hat er sich bei mir hingelegt.«
Er sieht, dass ihre Augen feucht sind, und würde gern den Arm um sie
legen, doch das scheint ihm unpassend. Wer weiß, wer gleich noch alles hereinkommt.
»Es geht nicht um meinen Mann«, sagt Lea. »Es geht mir um Ava. Was wird
sie denken?«
»Kinder vergessen schnell. Neulich war ich mit meinem Sohn in der Stadt,
und ich sagte zu ihm: ›Das ist das Kino, wo wir gestern Abend waren‹, und meinst
du, er hätte sich noch erinnert? – Was hat sie denn gemeint, deine Tochter?«
»Nichts. Sie fragte: ›Wer war das?‹ Ich sagte: ›Ein Freund.‹ Und dann
fragte sie: ›Bist du krank, Mama?‹ Ich sagte: ›Nein, nur müde. Mama ist müde.‹ Dann
bin ich mit ihr auf die Toilette gegangen und hab ihr noch eine Milch warm gemacht.
Die hat sie getrunken, und ich hab sie ins Bett gebracht. Sag mir, dass ich keine
schlechte Mutter bin.«
Sie setzt sich neben ihn. Ist das ihr Ernst? Soll er jetzt wirklich sagen:
»Lea, du bist keine schlechte Mutter«? Oder will sie geküsst werden?
Sie streichelt ihm über den Oberschenkel und schaut ihn erwartungsvoll
an. Sicherheitshalber sagt er darum: »Lea, du bist keine schlechte Mutter.«
»Machen wir weiter, wo wir aufgehört haben«, antwortet sie. »Was hast
du da?«
Sie nimmt ihm das Buch aus der Hand. »Kertész«, sagt sie. »Nicht jetzt.«
Sie legt das Buch auf den Nachttisch, zieht [334] den Morgenmantel aus, drückt Roland
aufs Bett, fängt an, ihn zu küssen, erst auf den Mund, und dann auf die Brust, auf
den Bauch, auf die Oberschenkel. Ein Engel des Todes, denkt er noch mal. Aber einer,
der nichts dafür kann.
Normalerweise plagen solche Gedanken ihn nicht. An bestimmte Logarithmen
denkt er schon mal, wenn er mit einer Frau im Bett ist, aber das findet er nicht erstaunlich, schließlich sind Wirtschaftsmodelle seine Welt.
»Brauchen wir kein Kondom?«, fragt er, vielleicht etwas spät.
»Ich trage eine Spirale«, antwortet sie. »Zweimal ungewollt schwanger
fand ich genug.«
Und Geschlechtskrankheiten, will er noch fragen, was ist damit?
Doch sie nimmt sein Glied in den Mund, bläst ihm einen, ein bisschen
zu ruppig, ein bisschen zu fest, aber unangenehm ist es nicht.
Einen Moment denkt er noch an das Buch, das er eben in Händen hielt,
und an den Kater. Dann gibt er sich hin.
Kurz darauf legt sie sich neben ihn, und weil er ein Kavalier ist, sich
zumindest so sieht und auch weiter so sehen will, beginnt er jetzt seinerseits,
sie zu lecken: Zwischen ihren Beinen liegend, die Nase an, fast in ihrem Geschlecht,
riecht er seltsamerweise das Aftershave ihres Mannes
noch stärker.
Nach ein paar Minuten legt er sich auf sie, und wieder stellt er sich
vor, dass ihr Mann in der Türöffnung steht, den Koffer, mit dem er in Albany war, in der Hand. Er tut nichts,
starrt sie beide nur an.
Roland wischt sich ihren Schleim von Kinn und Lippen.
[335] In Gedanken sagt Roland zu dem Foto, zu dem ihm unbekannten Mann im
Hochzeitsanzug: Schau, so vögle ich deine Frau, so fick
ich sie. Siehst du’s? Kannst du’s gut sehen?
Dann kommt er. Er vermutet, dass auch sie gekommen ist, wagt
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