Mit Haut und Haaren
Schmonzette, doch soweit
ich mich erinnere, ist das übertrieben. Ich bin aber auch kein Purist.«
Neben ihm liegt das Buch, das Lea ihm geschenkt hat, lose eingewickelt
in das bunte Papier. Er wollte das Papier nicht vor ihren Augen wegschmeißen. Das
fand er unhöflich. Sie hatte das Buch mit Sorgfalt verpackt.
»Ich verstehe immer noch nicht ganz, warum du dich so für Höß interessierst«,
sagt er, während sie weiter seine Hand hält.
»Auch mit den Henkern muss sich jemand beschäftigen.
Vielleicht gerade mit ihnen.«
»Was ist an ihnen denn so interessant?«
Sie lässt seine Hand los.
»Der Feind fasziniert mich. Findest du das so seltsam?«
Ihm liegt auf der Zunge, dass er nicht gesagt hat, er finde es seltsam, sondern dass er es nicht versteht, doch er
lässt die Sache auf sich beruhen. Er nimmt ihre Hand und sagt nichts mehr.
Auf der Treppe zu seinem möblierten Apartment begegnen sie Rolands Vermieterin,
die eine Etage über ihm [417] wohnt und mit einem Einkaufstrolli aus dem Haus will.
»Ah, Mister Oberstein«, sagt sie. »Endlich sehe ich Sie mal. Alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung, nur viel zu tun«, erklärt Roland höflich, aber bestimmt.
»Immer viel zu tun«, sagt die Vermieterin, »immer so viel zu tun.« Sie
wirft Lea einen vielsagenden Blick zu.
In der Wohnung hilft Roland Lea aus dem Mantel,
die Plastiktüte mit dem Ausdruck legt er irgendwo in die Ecke, ihr Geschenk auf
den Tisch. Er schaltet sein Notebook ein.
»Was soll das?«, fragt Lea. »Ich dachte, du wolltest mit mir ins Bett?
Was willst du auf einmal im Internet?«
»Ich will ja mit dir ins Bett«, antwortet er,
»aber ich muss erst noch kurz nachsehen, wo sie jetzt ist.«
Er gibt die Flugdaten ein.
»Das Flugzeug ist schon über Maine«, sagt er. »Wir müssen uns beeilen.«
Er zieht sich aus.
»Du bist nicht an der Arbeit«, sagt Lea.
»Sex ist keine Arbeit.«
Roland steht in Boxershorts neben dem Bett.
»Da hast du recht, aber Violet ist schon über Maine. Irgendwo über Boston
fangen sie an mit der Landung. Und außerdem: Wenn ich die Wahl hätte zwischen Sex
und meiner Forschung, wäre meine Forschung mir lieber, für sie würde ich allen Sex
opfern. Ich bin nämlich Wissenschaftler, kein lebender
Dildo.«
Er ist ziemlich verärgert und schämt sich gleichzeitig dafür, dass er
sich so sehr hat gehenlassen.
Lea hat gerade ihren BH ausgezogen und
über den Stuhl [418] gehängt. Verblüfft schaut sie drein.
Sie zieht ihren BH wieder an.
»Ich gehe«, sagt sie.
Roland stellt sich vor sie.
»Entschuldigung, es tut mir leid. Ich will dich ja. Nicht an allen Tagen
gleich viel, aber ich will dich. Spürst du das nicht?«
»Nein«, sagt sie.
»Es würde mir weh tun, wenn du jetzt gehst.«
Sie schaut ihn unschlüssig an.
»Was ist Violet für dich? Warum hast du was mit ihr?«
Er seufzt. »Das ist schwer zu erklären. Warum hast du was mit deinem
Mann?«
»Wir haben zwei Kinder, er ist ein guter Vater. Und er ist zuverlässig.
Aber dein Verhältnis zu Violet verstehe ich nicht. Was bekommst du von ihr? Was
gibt sie?«
»Lea, ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt ist für so
ein Gespräch. In nicht mal einer Stunde landet Violet auf JFK , und wir stehen hier in der Unterwäsche. Ich weiß nicht,
was sie mir gibt. Sie hat nicht verdient, dass man ihr weh tut, sie verdient Liebe.«
»Aber sie betrügt dich.«
»Lass uns jetzt Sex machen, sonst schaffen
wir’s zeitlich wirklich nicht mehr. Tut mir leid, dass das jetzt grob klingt.« Er
schlüpft aus den Shorts. »Ja, sie betrügt mich. Aber
das ist ein Schrei um Aufmerksamkeit.«
»Betrug ist also immer ein Schrei um Aufmerksamkeit?«
Sie legt sich unter die Decke.
»Ja, wenn du es analysierst, näher betrachtest, dekonstruierst – ja,
natürlich.«
[419] Er legt sich neben sie. Er löst ihren BH .
»Findest du, dass ich dich wie einen lebenden Dildo behandle?«, fragt
sie.
»Ich hab übertrieben. Das war nur ein Witz.«
Er legt sich nackt neben sie, küsst sie, streichelt ihr sanft über Brüste und Bauch und dann genauso sanft übers Geschlecht. Er legt sich auf sie.
»Langsam«, sagt sie, »nicht so schnell.«
Er nimmt das Vorspiel wieder auf, jetzt bedächtiger. Er sieht sich als
lebender Dildo. Er kann es nicht ändern. Darauf läuft sein
Leben hinaus, so wird er enden, als lebender Dildo. Er dringt vorsichtig in sie
ein. Plötzlich beginnt sein Notebook zu piepen.
Roland erstarrt.
»Was ist denn jetzt wieder los?«,
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