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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Hand.
    »Viel gesagt hast du nicht, aber das macht nichts. Wahrscheinlich hattest
du nichts zu erzählen«, meint Rolands Mutter. »Aber wenn du nächstes Mal kommst,
wäre es schon nett, wenn du mal fragen würdest: ›Wie geht es dir eigentlich?‹«
    Im Flur wird ihr Blick wieder milder. Sie schaut ihren Enkel an. »Ein
lieber Junge«, sagt sie. »Wenn er nicht grad meine Möbel kaputtmacht.«
    Sie zieht eine Kommode auf.
    »Ich möcht ihm was geben«, sagt sie, »ein
kleines Geschenk.«
    Hier bewahrte sie früher immer Sachen auf, die sie von anderen bekommen
hatte, aber selbst nicht behalten wollte.
    Sie beginnt in der Kommode zu suchen. Doch Roland weiß, dass alle Geschenke
längst weg sind.
    6
    Auf ihrem Zimmer packt Violet ihren Kulturbeutel, saubere Unterwäsche,
die kleine Peitsche und nach einigem Zögern auch Meneer Bär in eine Tasche.
    [477]  Sie hatte Roland den Vorschlag gemacht, für die paar Monate zu ihr
zu ziehen, die er in den Niederlanden verbringen würde, aber die anderthalb Zimmer
bei dieser Grachtentrulla waren ihm lieber.
    Er lehnte ihr Angebot ab, obwohl ihr Zimmer nicht viel kleiner und unbequemer
ist als seins dort. Sie hatte sich geärgert, aber nicht lange, denn das hat bei
ihm keinen Zweck. Er hatte gesagt: »Schau, du bist unzufrieden mit mir, ich enttäusche.
Aber Gott sei Dank ist die Liebe ein freier Markt. Du kannst mich jederzeit umtauschen.
Stellen wir uns vor, ich wäre ein Supermarkt: Wenn das, was du suchst, bei mir nicht
zu kriegen ist, gehst du eben woandershin. Allerdings hoffe
ich, dass du das nicht tust, denn ich bin ein Qualitätssupermarkt und rund um die
Uhr geöffnet.«
    Wytse ist im Sudan. Das Satellitentelefongeschäft
brummt. Ohne Satellitentelefone keine Hilfe vor Ort. Er hat ihr eine SMS geschickt: »Es ist hier ein einziges Abenteuer, aber
ein noch größeres Abenteuer bist du. Die Leute sterben wie die Fliegen, aber …«
    Erst fünf Minuten später war der zweite Teil seiner SMS angekommen. »Die Leute sterben wie die Fliegen, aber
wir müssen leben und poppen.«
    Das hatte ihr unangenehm in den Ohren geklungen: dass sie poppen sollte,
während Menschen sterben wie Fliegen.
    »Komm, Meneer Bär«, sagt sie. »Wir machen
einen Ausflug.«
    Im letzten Moment packt sie auch noch die anderen Tiere ein, die überall
im Zimmer herumstehen: ein kleines Schwein, ein Eichhörnchen, einen zweiten, etwa
handgroßen Bären und ein Schaf.
    [478]  7
    Als Roland am Abend nach Hause kommt – seinen Sohn hat er zusammen
mit den Pralinen, die für seine Mutter bestimmt waren, bei Sylvie abgegeben und
nicht versäumt, sie über die Läuse auf Jonathans Kopf zu informieren –, wird er
auf der Treppe zu seinem Zimmer von Antoinette aufgehalten.
    »Hast du Lust, einen Sherry oder ein Glas Wein mit mir zu trinken?«,
fragt sie.
    »Eigentlich erwarte ich Besuch«, antwortet er. Er will weitergehen, er
ist todmüde. Nach seiner Mutter, nach Slachter, der Schule, seinem Sohn.
    Doch er wagt ihr die Bitte nicht abzuschlagen. Nicht der Frau, die ihm
zu einem Spottpreis anderthalb Zimmer im Zentrum von Amsterdam vermietet.
    Sie führt ihn ins Wohnzimmer, das mit Designermöbeln vollgestopft ist. An der Wand hängen Gemälde, die, wie ihm scheint, keine
Reproduktionen sind.
    Sie muss seine Blicke bemerkt haben, denn sie sagt. »Das ist ein echter
Verkade. Hab ich von meinem Vater geerbt.«
    Er nimmt auf dem Sofa Platz und entscheidet sich für ein Glas Wein.
    »Magst du ein paar Stückchen getrocknete
Mango in Schokolade?«
    An sich ist er Süßigkeiten nicht abgeneigt, aber nicht um diese Uhrzeit.
Doch wieder wagt er nicht abzulehnen, sondern antwortet: »Ja, gern.«
    [479]  Sie setzt sich ihm gegenüber, schiebt ihm den Teller mit den getrockneten
Mangostücken hin und schaut ihn an.
    »Ich hab was für dich«, sagt er.
    Aus seiner Plastiktüte holt er das Buch, das für Slachter bestimmt war.
    Sie nimmt es und liest laut den Titel.
    »Schau einmal rein, wenn du nichts andres zu tun hast«, sagt Roland.
»Es sind wissenschaftliche Texte, aber auch für den Laien
verständlich.«
    Antoinette blättert in dem Buch.
    Sie nimmt ein Stück Mango, beißt hinein und fragt: »Bist du als Wirtschaftswissenschaftler berühmt?«
    Die Frage verwirrt ihn. Berühmt, wie meint sie das? Worauf will sie hinaus?
    Um Zeit zu gewinnen, nimmt auch er ein Stück Mango. Als er zu Ende gekaut
hat, erklärt er: »Ich bin Wissenschaftler, verschiedene
meiner Artikel fanden positive Resonanz bei Kollegen,

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