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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Wir ignorieren die
Realität.«
    »Machen wir weiter«, sagt sie. »Wir sind grad so gut drin. Endlich reden
wir miteinander.«
    Er nimmt das Tier, das er neben sein Notebook gestellt hat, und legt
es sich wieder auf den Schoß.
    »Was möchtest du tun, Schweinchen, möchtest du mit mir spielen?«, fragt
Violet.
    »Ja«, lässt er Schweinchen antworten, »ich möcht dir mit der Peitsche
den Hintern versohlen.«
    »Und warum, Schwein?«
    [486]  »Schmerz ist Intimität, Meneer Bär. Möchtest du ein Stück Mango?«
    8
    Über craigslist.com, Abteilung »Zwanglose Treffen«, hat sie Kontakt zu einem Pakistaner bekommen. Es ist
Leas dritte derartige Begegnung. Sie hat es noch niemandem erzählt. Selbst ihrer
Freundin Valeria nicht, obwohl auch die sich ab und zu auf Craigslist tummelt.
    Sie trifft sich mit ihm in einem Starbucks
in der Madison Avenue, nicht weit von der Bibliothek, wo sie etwas für ihr Buch
recherchieren muss.
    Der Pakistaner ist Rechtsanwalt, oder besser gesagt: war Rechtsanwalt
in seiner Heimat. In New York ist er Taxifahrer. Für einen Taxifahrer sieht er gut
aus, für einen Pakistaner übrigens auch.
    »Warum machst du das hier?«, fragt sie, ihr Glas Iced
Coffee in Händen.
    »Ich will keine feste Beziehung«, antwortet er. »Ich habe Familie. In
Pakistan. Große Familie, liebe Familie, aber manchmal braucht ein Mensch einen anderen
Menschen. – Und du?«
    Er riecht angenehm süß, nach Gewürzen. Ein Taxifahrer ist eigentlich
unter ihrem Niveau; aber egal.
    »Ich mag Sex«, antwortet sie.
    Doch während sie das sagt, fragt sie sich, ob das stimmt. [487]  Manchmal
muss sie einfach jemanden sehen, jemand anderen als ihre Kinder und ihren Mann,
und sie muss diesen anderen körperlich spüren. Sie kann nicht den ganzen Tag nur
mit ihrem Buch und Rudolf Höß verbringen. Doch das kann sie niemandem anvertrauen.
Darum sagt sie: »Ich mag Sex.«
    Als der Pakistaner aufs Klo geht, schickt sie Roland eine SMS .
    »Habe fast alles geregelt. Komme Ende März mit Großvater und Kindern
nach Amsterdam. Hast du schon mit deinem Hausarzt gesprochen?«
    Der Pakistaner kommt von der Toilette zurück.
    »Ab halb vier habe ich Dienst«, sagt er. »Wollen wir vorher noch …?«
    »Okay«, sagt sie. »Aber ich muss bald zu
meinen Kindern zurück.«
    »Ich kenne in der Nähe ein Hotel, nur … Würde es dir etwas ausmachen,
die Hälfte des Zimmers zu bezahlen? Es sind harte Zeiten,
auch für Taxifahrer.«
    Sie zögert einen Moment. »Wie viel kostet es?«, fragt sie.
    »Das Zimmer? Siebzig Dollar pro Person. Irgendwas in der Richtung, plus
Steuern.«
    Sie fragt sich, ob sie genug Geld dabeihat, aber sie kann immer noch
mit der Kreditkarte bezahlen.
    »Okay«, sagt sie. »Dann mal los.«
    Sie gehen zu dem Hotel. Es ist nicht weit.
    »Was hast du da eigentlich in der Plastiktüte?«, fragt der Pakistaner
auf einmal.
    »Kopierte Artikel.«
    »Was für Artikel?«
    [488]  »Über Rudolf Höß.«
    »Höß?«
    Sie nickt.
    Er fragt nicht weiter.
    Das Hotel liegt an der 6th Avenue. Das Zimmer ist klein, parfümgeschwängert,
die Vorhänge sind zugezogen.
    Der Pakistaner entpuppt sich als kultivierter, doch ziemlich behaarter
Mann.
    Er fragt sie sehr freundlich, ob es ihr etwas ausmachen würde, sich auf
ihn zu setzen.
    Sie tut es, doch nach ein paar Minuten reiten hört sie abrupt auf. Sie
packt seine Handgelenke.
    »Sag mir, dass ich eine gute Mutter bin«, fleht
sie.
    Er schaut sie verdutzt an.
    »Was?«, fragt er.
    »Sag mir, dass ich eine gute Mutter bin. Sag’s mir, sag’s mir bitte.«
    Die Tränen laufen ihr übers Gesicht, sie kann sie nicht mehr zurückhalten.
    »Du bist eine gute Mutter«, sagt er.
    Während sie weiter auf ihm reitet, trocknet sie sich die Tränen.
    »Danke«, sagt sie. »Danke.«
    Und dann vögelt sie den Pakistaner wie noch keinen anderen jemals zuvor.
    [489]  9
    Roland Oberstein sitzt im Büro von Kollege Slachter, der ausnahmsweise
einmal nicht da ist. Ihm gegenüber sitzt ein Student. Der Junge heißt Samuel und
besteht darauf, dass man seinen Namen englisch ausspricht. Er kommt aus Kenia, wohnt
aber schon seit ein paar Jahren in den Niederlanden.
    »Du wolltest mich sprechen?«, fragt Roland.
    »Ja«, erwidert der Junge.
    »Dann schieß mal los.«
    »Es geht um meine Klausur.«
    »Ja?«, fragt Roland.
    »Sie haben mir vier Punkte gegeben.«
    »Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen.«
    »Ich fragte mich, ob sich da nicht noch was dran ändern lässt.«
    »Wenn ich nicht irre, gibt es am

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