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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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oft renommierten
Kollegen. Ich arbeite an einem Buch über die Geschichte der Blasenbildung, das,
wenn es nach mir geht, ein Standardwerk werden soll. Beantwortet das deine Frage?«
    Sie schaut ihn freundlich an. Doch gerade ihre Freundlichkeit macht ihn
misstrauisch. Ohne recht zu wissen, warum, muss er an Kollege Slachter denken. Und
an Ilse Vermaes, die jetzt hochschwanger bei sich zu Hause sitzt.
    »Vielleicht kommt meine Demarche etwas verfrüht«, sagt Antoinette.
    »Was für eine Demarche?«
    Die getrockneten Mangos schmecken nicht schlecht, sind aber recht zäh.
    [480]  »Ich hab dir doch erzählt, dass wir den Vroom & Dreesmann-Literaturpreis
ausrichten. Das ist einer der wichtigsten Literaturpreise der Niederlande. Die Kaufhauskette
möchte damit ihr literarisches Sortiment ins Rampenlicht rücken. Nun, im Kuratorium
dieses Preises haben wir auch immer einen Wirtschaftswissenschaftler. Der letzte ist vor ein paar Monaten gestorben. Einfach
so im Bad, Herzinfarkt, weg war er. Phantastischer Mann. Vielleicht hast du mal
von ihm gehört, Sprengers hieß er, Harry Sprengers. Na, und jetzt fände ich’s toll,
wenn du Mitglied in unserem Kuratorium würdest.«
    Sprengers. Der Name sagt ihm etwas, aber nicht viel. Wenn er nicht irrt,
hatte der Mann eine Stelle an der Universität Groningen. Bestimmt keine große Leuchte.
Er kann sich nicht erinnern, ihn je kennengelernt zu haben.
    »Vielleicht kommt meine Demarche etwas verfrüht, so gut kennen wir uns
ja noch nicht, aber ich habe Vertrauen zu dir. Würdest du dir’s überlegen?«
    Sie spricht das Wort »Demarche« aus, als sei sie vor allem stolz darauf,
dass sie es kennt.
    Er schaut Antoinette an. Das Gehalt, das die Universität Leiden ihm zahlt,
ist lächerlich niedrig, unter normalen Umständen hätte er die Stelle nie angenommen,
doch die nagende Furcht, als Vater nicht zu genügen, hatte ihn übermannt. Um zu
beweisen, dass er das Vatersein ernst nahm, wusste, was das Wort ›Verantwortung‹
bedeutet, war er in die Niederlande gekommen und hatte sich Antoinette ausgeliefert.
Mehr noch als für das Gehalt, für das er offensichtlich
bereit ist zu arbeiten, schämt er sich für die Tatsache, dass er sich fortgepflanzt hat. Fortpflanzung ist nichts
für Leute wie ihn.
    [481]  »Um was für ein Kuratorium geht es noch
mal?«
    »Das Kuratorium, das den Vroom-&-Dreesmann-Literaturpreis verleiht.
Den Literaturpreis, von dem ich dir erzählt habe.«
    Wer die Wirklichkeit objektiv erforschen will, darf sich persönlich nicht
allzu sehr an diese Wirklichkeit binden. Interessenkonflikte
sind zu vermeiden. Schon allein darum hätte er sich nie fortpflanzen dürfen.
    »Ich habe ein eher gespanntes Verhältnis zur Literatur. Ich verstehe
nichts davon. Ich hab meine Zweifel, ob ich der richtige Mann dafür bin.«
    »Macht alles nichts«, sagt Antoinette. »Sprengers hat auch nie gelesen.
Er bekam davon Kopfschmerzen, von Büchern jedenfalls, Zeitungen waren kein Problem
für ihn, aber vor allem wusste er gutes Essen zu schätzen, und das ist für so ein
Kuratorium viel wichtiger, verstehst du? Es kostet kaum Zeit. Wir kommen ein- bis
zweimal pro Jahr zusammen, und dann gehen wir in ein leckeres Restaurant. Offiziell stellt das Kuratorium die Jury zusammen, aber in der
Praxis mach einfach ich das, und ihr braucht das Ganze bloß noch abzunicken. Ich
denke, es könnte auch deiner Karriere nicht schaden, wenn die Leute sehen, dass
du im Kuratorium eines so renommierten Preises sitzt. Es geht dabei schon um was:
Vroom & Dreesmann lässt sich den Preis jedes Jahr ein paar hunderttausend kosten.«
    Sein Blick wandert von Antoinette zu dem Verkade-Gemälde. Ein paar hunderttausend!
Sein eigenes Gehalt bedrückt ihn noch mehr. Er spürt, dass er nicht nein sagen kann.
    »Wenn ich dir einen Gefallen damit tue und es wirklich [482]  kaum Arbeit
ist, will ich eurem Kuratorium gern beitreten.«
    »Wundervoll!«, ruft sie. »So ein bedeutender
Wirtschaftswissenschaftler
im Kuratorium unseres renommierten Literaturpreises!«
    Er steht auf. »Ich muss nach oben«, sagt er, »außer an meinem Buch arbeite
ich noch an einem Artikel über Völkermord aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, und der erfordert volle Konzentration.«
    »Nimm dir noch ein paar Stückchen Mango mit«, sagt sie, »dann hast du
dabei was zu knabbern.«
    Er arbeitet ungefähr vierzig Minuten, rührt die Süßigkeiten aber
nicht an.
    Gegen halb acht kommt Violet.
    Er küsst sie.
    »Etwas mehr Begeisterung,

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