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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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hab keine bei mir. Hast du noch eins?«, fragt Wytse.
    Sie geht zum Schrank, wo ihr Kulturbeutel steht. Ganz unten drin findet sie eins und überreicht es Wytse. Die Verpackung kann
er selber aufreißen.
    »Gleich muss ich zu meiner Verabredung«, sagt sie noch einmal, während
er sich das Kondom überstülpt. Das hier [254]  wird nicht stundenlang dauern. Oder will
sie überflüssigerweise deutlich machen, dass es dabei
bleiben wird, dies und nicht mehr: eine schnelle Nummer vor dem Abendessen?
    Er beginnt sie zu küssen, mit einer Gier, dass sie denkt: Das hier ist
seine Antwort auf die Krise. Seine Antwort auf die Sorge, es könnte vom einen Tag
auf den anderen mit den Satellitentelefonen vorbei sein. Egal, wie viele Tote es
in Afrika gibt, eines Tages werden die Hilfsorganisationen keine Satellitentelefone
mehr brauchen, und dann gibt es nur noch das hier.
    Diesen Kuss, diese Zunge, diese Hände.
    Sie schiebt Meneer Bär beiseite, und sie legen sich aufs Bett.
    Als sie merkt, dass er kommt, kommt auch sie.
    Ein paar Sekunden lang bleibt sie so liegen, dann steht sie auf und zieht
sich an. Er geht zum Papierkorb und nimmt sein Kondom ab.
    »Ich werf es hier rein«, sagt er, »ist das
okay?«
    »Du hast’s schon getan«, erwidert sie freundlich. »Aber egal.«
    Sie braucht ein paar Sekunden, Strumpfhose und String auseinanderzudröseln,
aber sie hat keine Lust, im Schrank einen frischen Slip zu suchen.
    Sie schaut in den Spiegel, trägt etwas Lippenstift
auf und bringt die Haare in Ordnung.
    »Möchtest du eine Mandarine?«, fragt sie.
    »Nein danke. Hab ich meine Tasche in der
Küche vergessen?«
    Auch Wytse ist schon wieder angezogen.
    »Ich glaub schon«, sagt sie.
    [255]  »Das war gut«, sagt er. »Es wird immer besser.«
    Sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll, und küsst ihn vorsichtig
auf den Mund, wie eine Mutter ihren Sohn. Sie nimmt den Pfannkuchenmix.
    Wytse geht ihr voran die steile Treppe hinunter. Zurück in der Küche,
umklammert er seine Aktentasche wie ein Schuljunge. Das macht ihn noch attraktiver.
Als Schuljunge ist er noch aufregender.
    Noch eine steile Treppe hinunter, dann stehen sie vor dem Haus.
    Er schließt sein Rad auf. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, sich das
Hemd in die Hose zu stecken. Die obersten drei Knöpfe stehen offen. Er sieht verwuselt, aber nicht unattraktiv aus. »Kann
ich dich noch irgendwo hinbringen?«, fragt er.
    »Ist dir nicht kalt?«, fragt sie zurück.
    Er schüttelt den Kopf. »Ich bin gleich zu Hause. Kann ich dich noch irgendwo
hinbringen?«
    Sie nickt langsam, wie in Gedanken. »Ja«, sagt sie. »Ich brauche unbedingt
noch Puderzucker.«
    17
    Sylvie hat die Bratpfanne schon auf den Herd gestellt, auf
der Anrichte steht eine rote Schüssel für den Teig. Sie hat Jonathan eine Schürze
umgebunden, die ihm bis auf den Boden reicht.
    [256]  Auf einem Regalbrett stehen zwei Gläser mit selbstgemachter Marmelade,
die sie von einer Patientin bekommen hat.
    Schon ein paarmal hat Jonathan gefragt: »Mah-ma, wann kommt sie denn?«
    »Sie kommt gleich«, hat Sylvie jedes Mal geantwortet.
    Sie hat Reis gekocht, im Ofen brutzelt ein Hähnchen. Nicht sehr originell,
aber auch unoriginelles Essen kann gut schmecken.
    »Aber wann denn?«, fragt Jonathan noch einmal.
    Bereut hat sie es nie, dass sie mit Roland ein Kind gezeugt hat. Mit
wem sonst? So viele Männer standen nun auch wieder nicht zur Auswahl.
    Als Roland angekündigt hatte, dass er in die USA gehen würde, hatte sie ein paar schwierige Gespräche mit ihm über die Zukunft geführt. Um Jonathans willen hatte sie sich vorgenommen,
nicht wütend zu werden, sich nicht in sinnlose Emotionen zu verstricken, die Diskussionen
nicht endlos in die Länge zu ziehen, und beide Vorhaben waren ihr – zumindest teilweise
– geglückt. Die Gespräche über die gemeinsame Zukunft hatten
aufgehört, als sich herausstellte, dass er, um seinen Weggang an die amerikanische
Universität gebührend zu feiern, ein Verhältnis mit der Freundin eines seiner Studenten
angefangen hatte. »Und was sagt die Universität dazu?«, hatte sie ihn gefragt, und
Roland hatte erwidert: »Nichts. Was soll die Universität dazu sagen?« Als er ihr
so antwortete, wurde ihr klar, dass es keinen Sinn hatte, noch groß zu diskutieren.
Nicht über die Zukunft und auch nicht über das Geschehene.
Irgendwie eine Erlösung.
    [257]  Roland schien auch kein Bedürfnis nach langen Diskussionen zu haben.
Er war ganz auf seine Forschung

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