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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Familien samt Anhang und
Haustieren zu adoptieren. Nicht, wenn man jung und ehrgeizig ist. Dann denkt man:
Ich gründe meine eigene Familie.
    Umso schöner findet er, dass Violet sich offenbar Mühe gibt, ein gutes Verhältnis zu Jonathan aufzubauen.
Das macht es für alle Beteiligten leichter. Ein gutes Verhältnis zwischen Violet
und Sylvie wäre seiner Meinung nach ideal, denn das würde bedeuten, dass er in den
Niederlanden zugleich mit Exfrau, Sohn und jetziger Freundin essen gehen könnte,
und das spart Zeit, wodurch er Luft für seine Forschung
gewänne.
    »Jonathan will nicht mit dir reden.«
    »Macht nichts. Wir reden ein andermal miteinander.«
    »Er hat eine Schürze um«, sagt Sylvie. »Für
die Pfannkuchen.«
    »Jetzt muss ich wirklich Schluss machen. Ich sitze hier mit einem Kollegen.«
    Er beendet das Gespräch, steckt sein Handy in die Tasche und sagt zu
Weinert: »Entschuldigung, das war die Mutter meines Sohns. Mein Sohn will Pfannkuchen
backen, bei uns in den Niederlanden heißen die ›Poffertjes‹
und sind nur so groß.« Mit Daumen und Zeigefinger macht er ein O.
    [264]  Weinert wirft ihm einen kurzen Blick zu.
Misstrauisch, kommt es Oberstein vor.
    »Schmecken kleine Pfannkuchen denn anders
als große?«
    »Ich glaub schon«, erwidert er.
    »Dann hat es also Sinn, kleine Pfannkuchen
zu backen?«
    Oberstein denkt nach. Die Frage befremdet ihn. »Ja«, antwortet er. »Ich
denke wohl.« Darauf sagt er, ohne zu wissen, warum, gegen seine Gewohnheit und seine
Prinzipien: »Meine Exfrau will, dass ich für ein Semester in die Niederlande zurückkomme.
Die Erziehung wächst ihr über den Kopf.«
    Weinert hat die Bemerkung offenbar überhört.
Er schweigt, tritt nur stärker aufs Gaspedal.
    Bei Saks geht Weinert konzentriert die Kleiderständer entlang, mustert
einige Jacketts, kauft aber nichts. Oberstein läuft hinter ihm her.
    Bei den Oberhemden bleibt Weinert kurz stehen, mit einem violetten Hemd
in der Hand schaut er Oberstein an und meint plötzlich: »Was wir hier tun, ist etwas
Heiliges. Wir shoppen.«
    Oberstein versteht, was der Kollege meint, aus ökonomischer Sicht, aber
er glaubt nicht, dass er selbst derlei zu einem Kollegen sagen würde. Oder meint
Weinert etwa, sie seien dabei, Freunde zu werden?
    Eine etwas ungeschickte Art, das auszudrücken, doch ein großes Talent
zur Freundschaft und deren Verbalisierung kann man ihnen
beiden nicht nachsagen. Noch deutlicher als beim Lunch wird Oberstein klar, dass
er das Glück der Menschen um sich herum nicht vermehrt, er muss vorsichtig sein,
sich auf das konzentrieren, was er [265]  bisher gut gemacht hat: seine Forschung –
und, um leben zu können, sich wohl weiter auch um die Lehre kümmern.
    »Ja«, sagt er, »wir tun etwas Heiliges.«
    Mit dem violetten Oberhemd in der Hand geht Weinert zielstrebig zur Kasse.
Er nimmt nichts mehr wahr, nicht die Kleidung auf den Ständern, nicht die anderen
Kunden, nicht die Verkäuferin, die ihn ansprechen will, selbst Oberstein sieht er
nicht mehr, nur noch die Kasse. Die ganze Welt scheint für ihn auf diesen einen
Ort zusammenzuschrumpfen: den, wo bezahlt wird.
    19
    »Wie nett«, sagt Sylvie an der Tür. Sie nimmt die Blumen entgegen.
Sie fragt sich, warum Violet ausgerechnet Nelken mitbringt. Nelken aus dem Supermarkt.
Doch was zählt, ist die Geste.
    »’tschuldigung, dass ich etwas spät dran bin«, meint Violet. »Ich konnte
nirgendwo Puderzucker finden.«
    Sylvie legt die Blumen in die Küche. »Macht nichts«, sagt sie beruhigend.
    Es macht schon etwas, denkt sie. Eine Dreiviertelstunde zu spät. Jonathan
muss ins Bett. Ihr macht es nichts aus, aber ein Kind von knapp fünf kann man nicht
so lange warten lassen.
    »Alles ist fertig«, sagt sie. »Wir können
gleich anfangen.«
    »Wo warst du so lange?«, fragt Jonathan.
    [266]  Violet hebt ihn hoch. »Ich hab für dich Puderzucker gekauft, kleiner Meckerfritz«, sagt sie.
    »Für mich?«
    Sie setzen sich an den Tisch. Sylvie schneidet das Hähnchen für ihren
Sohn. Ihr gegenüber sitzt Violet, dazwischen Jonathan. Er trägt ein T-Shirt, das
sein Vater in den USA für ihn gekauft hat. WAR IS OVER. IF YOU WANT IT ,
steht darauf.
    Sein Vater kauft ihm gern teure Sachen, obwohl
Sylvie ihm immer wieder zu erklären versucht hat, dass teure Kleidung bei einem
Kind Verschwendung ist: Es ist im Nu herausgewachsen. Er scheint nicht zu begreifen,
wie schnell Kinder in die Höhe schießen.
    Sylvie findet, Violet sieht zerzaust aus.
Ihr Gesicht ist

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