Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
Vom Netzwerk:
gerötet. Kein Ausschlag, eher, als wäre sie schnell Fahrrad gefahren
oder käme direkt aus dem Sportstudio. Doch vielleicht wirkt sie selber genauso.
Die Haare in Unordnung, kurz vor ungepflegt.
    »Wie geht’s?«, fragt sie.
    »Gut«, antwortet Violet. »Viel zu tun. Und du?«
    »Ja, auch viel zu tun. Aber gut.«
    »Zahnärzte brauchen sich in der Krise bestimmt keine Sorgen zu machen?«
    »Löcher in den Zähnen gibt’s immer. Oder schiefe Zahnstände, bei Erwachsenen
genauso wie bei Kindern. – Ist genug Salz am Hähnchen? Ich koche immer fast salzlos.«
    Sie betrachtet ihren Sohn und dann Violet. Beide essen. Sie sieht, dass
Violets Tönung schon etwas herauswächst, und überlegt, sie freundlich darauf hinzuweisen.
Ihr selbst geht es nicht viel anders, aber sie ist auch älter. Bei ihr macht [267]  es
nichts mehr. Violet färbt ihre dunkelblonden Haare hellblond. Hat Roland ihr einmal
erzählt. Sylvies Haare sind grau. Die Haarfarbe, die sie ursprünglich hatte, rot,
fast karottenrot, kann sie nirgends bekommen. Selbst wenn die Verpackung oder der
Friseur etwas Karottenrotes versprechen, das Resultat ist doch jedes Mal anders.
    »Hast du was von Roland gehört?«, fragt Violet zwischen zwei Bissen.
    Mit Violet spricht Sylvie nicht gern über Roland, sie findet, dass sie Jonathans Vater Loyalität schuldet, und hat
Angst, Geheimnisse auszuplaudern, obwohl sie keine Vorstellung hat, was für welche
das sein sollten. Aber man weiß nie – was heute harmlos ist oder so scheint, ist
es in ein paar Monaten vielleicht nicht mehr.
    Sie findet jedoch: Ihrem Sohn ist sie es schuldig,
ein möglichst gutes Verhältnis zur Freundin ihres Ex aufzubauen. Jonathan zuliebe
sollte alles so unkompliziert sein wie möglich.
    »Ab und zu höre ich was«, sagt sie. Das klingt ziemlich abweisend, aber
vielleicht will Violet sie nur aushorchen.
    »Darf ich Pippi in Taka-Tuka-Land hören?«,
fragt Jonathan.
    Niemand antwortet. Sylvie überlegt, ob sie Lysander doch noch mal anrufen
soll.
    »Das ist ein Hörbuch«, erklärt sie. »Das
hört er immer beim Essen.«
    Das also ist aus ihr geworden, eine Mutter mit Kind, die Abend für Abend Pippi in Taka-Tuka-Land hört. Denn er will immer dieselbe CD . Die Wiederholung ist Teil des Vergnügens.
    [268]  »Nicht, wenn Gäste da sind«, sagt Sylvie ungewollt streng.
    »Mir macht es nichts aus«, sagt Violet. »Lass ihn seine Pippi Langstrumpf ruhig hören. Das Essen ist köstlich. Und Salz
ist genug drin.«
    »Es ist ein einfaches Gericht. Nichts Besonderes,
tut mir leid.«
    Vielleicht wirkt sie darum frostig auf Violet, weil die andere spürt,
dass ihre Loyalität immer noch beim Vater ihres Sohns liegt. Sylvie wird nie frei
heraus mit Violet sprechen. »Kommst du gerade vom Sport?«, will sie von Violet wissen.
    »Nein. Wieso?«
    »Du siehst erhitzt aus. Als hättest du dich angestrengt.«
    »Ich musste mich so beeilen. Ich dachte, ich hätte noch Puderzucker zu
Hause.«
    Eigentlich findet Sylvie, dass vielmehr Violet
frostig ist. Eine eiskalte Frau. Ihr Exmann scheint eine Vorliebe für eiskalte Frauen
zu haben. Sie selbst, findet sie jedenfalls, war eine
Ausnahme.
    »Und wann siehst du Roland wieder? Hörst du
ab und zu was von ihm?«
    »Bald«, sagt Violet. »Bald fahre ich hin. Ich will mir im November ein
paar Tage freinehmen. Vielleicht können wir zusammen verreisen. Ich bin noch nie
in Georgia gewesen. South Carolina soll auch schön sein. Vielleicht können wir ein
Auto mieten. In Fairfax gibt’s wenig zu sehen.«
    »Ja«, sagt Sylvie, »in Fairfax ist kaum etwas los. Wir fahren in den
Herbstferien hin.«
    Ein paar Herzschläge lang ist es still, plötzlich sagt Jonathan: »Mein
Vater macht Witze.«
    [269]  »Was meinst du damit?«, fragt Sylvie.
    Jonathan antwortet nicht. Er spielt mit dem Reis und dem kleingeschnittenen
Hähnchen.
    »Warum macht dein Vater Witze?«, will jetzt auch Violet wissen.
    »Das sag ich manchmal zu ihm«, erklärt Sylvie, ihren Sohn eilig in Schutz
nehmend. »Zum Beispiel sagt Roland: ›Gleich fress ich dich auf!‹ Natürlich weiß
Jonathan, das ist aus Liebe, aber manchmal bekommt er doch Angst, und dann sag ich
zu ihm: ›Papa macht Spaß, Papa macht Witze. Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben.‹«
    »Ach so«, sagt Violet. Und nach einer kurzen Pause: »Er macht auch immer Witze. Das ist seine Rettung.«
    »Seine Rettung?«
    »Seine Witze sind seine Rettung«, sagt Violet.
    »Seine Arbeit ist seine Rettung«, erwidert Sylvie.
    Aus

Weitere Kostenlose Bücher