Mit Herz und High Heels - Clark, B: Mit Herz und High Heels - The Overnight Socialite
immer häufiger in ihren Kopf geschlichen und sich immer beharrlicher dort eingenistet hatte. Wyatt Hayes IV.
Schnee war angekündigt; die Luft war klar und kalt und schrie geradezu nach Nerz. Genau so einen Tag hätte Lillian Edgell sich für ihre Beerdigung ausgesucht, sagte Dorothea Hayes zu ihrem Sohn Wyatt, als sie gemeinsam die St. James Church betraten. Dottie, wie sie genannt wurde, war eigens aus Palm Beach eingeflogen, um Lillian die letzte Ehre zu erweisen, und hatte darauf bestanden, dass der widerstrebende Wyatt sie begleitete.
Lillian Edgell, eine Grand Dame, die bis zu ihrem Tod im stolzen Alter von dreiundneunzig Jahren körperlich und geistig in Bestform gewesen war, hatte bereits Jahre zuvor alles für ihre eigene Beerdigung arrangiert – von den aufwendigen Blumenarrangements – weißer Flieder, Ranunkeln, Schneeball, Frauenschuh-Orchideen, Wicken und gefranste holländische
Tulpen – bis hin zur Gästeliste – zweihundert handverlesene Freunde, keine Nase mehr. In den letzten Jahren ihres Lebens hatte sie die Vorstellung, einem ihrer linkischen Söhne oder, schlimmer noch, einer ihrer übereifrigen Schwiegertöchter könne die Planung ihrer Beerdigung zufallen, zunehmend gestört, weshalb sie die Angelegenheit kurzerhand selbst in die Hand genommen hatte.
Es war der 16. Dezember, und obwohl viele von Lillians Freunden bereits zum Skifahren oder in die Sonne geflogen waren, war die Kirche doch gedrängt voll mit jenen, die in New York geblieben waren, um das glitzernde Karussell der Feiertagspartys nicht zu verpassen. Nach so viel Champagner und Völlerei war es regelrecht erfrischend, mal an einer eher ernsten Veranstaltung teilzunehmen.
»Da ist Courtney Lennert«, flüsterte Dottie Hayes Wyatt zu. Sie saßen wie üblich in der sechsten Reihe. »Eigentlich müsste sie ein Namensschild tragen. Nach den vielen Eingriffen ist sie ja kaum wiederzuerkennen.«
»Mhm«, murmelte ihr Sohn.
»Du hörst mir nicht zu.«
»Nein«, pflichtete Wyatt ihr bei. Er dachte an Lillian Edgell, womit er, wie er annahm, unter den Anwesenden eher die Ausnahme war. Sie hatte ein Leben geführt, das mit einem ganzseitigen Nachruf in der New York Times endete, und sie war wie ein Rückverweis auf längst vergangene Zeiten, die langsam, aber sicher auf Nimmerwiedersehen verschwanden – als die sogenannten oberen »Vierhundert« noch über die New Yorker Society herrschten und nicht mit Spenden zugunsten wohltätiger Zwecke geizten. Nach dem frühen Tod ihres Ehemanns hatte Lillian kein zweites Mal geheiratet, sondern sich ganz der Wohltätigkeitsarbeit gewidmet. Sie hatte dem Met einen Flügel gestiftet und etliche Organisationen
unterstützt, die maßgeblich zur Vielfalt der New Yorker Kulturlandschaft beitrugen. Das war doch mal ein sinnerfülltes Leben, hatte Wyatt immer gedacht. Er war ebenfalls bekennender Wohltäter und tat seinen Teil dazu, die eine oder andere gute Sache zu unterstützen – jedes Jahr stellte er dem Vanderbilt und dem Museum of American Heritage einen großzügigen Scheck aus – aber irgendwas fehlte. Vielleicht das Gefühl, gebraucht zu werden, eine Aufgabe zu haben. Einen Millionen-Dollar-Scheck konnte jeder ausstellen – na ja, fast jeder -, aber manchmal sehnte Wyatt sich nach dem Gefühl, etwas erreicht zu haben, was er ganz allein geschafft hatte und niemand anderer gekonnt hätte.
»Was ist denn mit dir los?«, wisperte seine Mutter. »Du bist schon den ganzen Tag so miesepetrig. Es ist wegen Cornelia, stimmt’s?«
»Wir sind bei einer Beerdigung, Mutter.«
In seinem Leben gab es rein gar nichts zum Unglücklichsein, aber in den zwei Wochen, seit er Cornelia den Laufpass gegeben hatte, fiel es ihm jeden Morgen schwerer, aus dem Bett zu kommen. Eine der unangenehmen Nebenwirkungen, ein tiefgründiger Denker zu sein, überlegte Wyatt, war wohl die Anfälligkeit für existenzielle Krisen.
»Du solltest mitkommen, wenn ich zurück nach Florida fliege, Herzchen«, schlug Dottie vor. Sie streifte sich ein paar nicht vorhandene Fussel von der makellosen maßgeschneiderten schwarzen Bill-Bass-Kostümjacke. »Ein bisschen Sonne würde dir ganz gut tun. Ich verstehe einfach nicht, warum du bei dieser Eiseskälte unbedingt in Manhattan bleiben willst.«
Wie so viele Damen der Gesellschaft mit ihrem Kontostand und ihrer Abstammung war Wyatts Mutter eine stramme Konformistin, die nur jene Kunsthändler, Inneneinrichter, Restaurants, Friseursalons, Klubs, Maniküren und
Designer
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