Mit Herz und Skalpell
noch so jung . . . sie mussten ihn retten. Aber sie wusste, wie kritisch es war. Mit aller Kraft hielt sie die Haken fest, um Alexandra optimale Bedingungen zu verschaffen.
Angespanntes Schweigen herrschte im OP-Saal.
Alexandras Bewegungen waren weiterhin ruhig und präzise. Nur kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn verrieten die Anstrengung.
Das Piepen wurde noch lauter und schneller.
»Halt durch«, murmelte Alexandra so leise, dass nur Linda es hören konnte. Etwas lauter verkündete sie dann: »Die Blutung ist gleich gestillt.«
Linda biss sich auf die Unterlippe, bis sie einen metallischen Geschmack im Mund spürte. Vielleicht hätte sie eher nach Herrn Opaterny gucken müssen? Stundenlang war sie in der Notaufnahme beschäftigt gewesen . . . aber es hatte sie ja niemand verständigt.
Ihre Oberarmmuskeln begannen zu zittern. Langsam ließ ihre Kraft nach. Sie brauchte all ihre Energie, um die Haken zu halten.
»Der Blutdruck steigt«, meldete der Anästhesist, hörbar erleichtert. Linda bemerkte erst jetzt, dass sie die letzten Sekunden die Luft angehalten hatte.
Alexandra stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sehr gut. Gleich haben wir es geschafft.« Ihre Gesichtszüge entspannten sich, während sie den letzten Rest der Milz entfernte. Linda glaubte sogar, ein leichtes Lächeln unter dem Mundschutz zu erahnen.
Das Piepen war ruhiger und gleichmäßig geworden.
»Das Zunähen übernimmst du.« Alexandra reichte Linda Nadel und Faden. »Ich brauche eine Pause.«
»Ich?« Mit weit aufgerissenen Augen sah Linda sie an.
Alexandra schaute zurück, eine Augenbraue hochgezogen. »Das kannst du doch im Schlaf.«
»Ja . . . aber . . . eigentlich . . .«, stammelte Linda. Mechanisch nahm sie das Nahtmaterial entgegen. Natürlich hatte sie schon viele Wunden genäht, das stellte tatsächlich keine Schwierigkeit dar, aber die Aufregung der letzten Stunde schlug jetzt doch durch. Sie war ganz zittrig.
»Du hast dich wirklich hervorragend geschlagen«, betonte Alexandra. »Du brauchst nicht mehr nervös zu sein – wir haben alles im Griff. Alles ist gut gegangen.«
Ein wenig beruhigt von Alexandras Worten setzte Linda die Nadel an. Stich für Stich und mit zunehmend sicheren Bewegungen verschloss sie den Bauch des Patienten wieder. Doch aus irgendeinem Grund war sie froh, dass Alexandra sie nicht allein am Tisch stehen ließ, sondern bei ihr blieb, während sie nähte.
Als sie den letzten Faden verknotet hatte, legte Alexandra ihr die Hand auf die Schulter. »Das war eine großartige Operation. Zwischendurch war ich wirklich skeptisch, ob wir das noch schaffen, aber du hast toll mitgearbeitet.« Sie beugte sich noch etwas näher zu Linda und flüsterte: »Danke.«
Lindas Herz setzte für einen Moment aus und begann dann hart zu pochen. Ihr Mund war trocken. Alexandra bedankte sich bei ihr? Alexandra hatte tatsächlich Zweifel gehabt?
»Ich gehe den Bericht diktieren. Du kannst dich gern schon umziehen, wenn ihr den Patienten umgelagert habt«, verkündete Alexandra, als sei nichts gewesen. Sie zog Handschuhe und Kittel aus und warf sie in den Abfalleimer, bevor sie aus dem Operationssaal verschwand.
In die plötzliche Stille hinein sagte Schwester Karin unvermittelt: »Herr Opaterny hatte Glück, dass Frau Kirchhoff Dienst hatte heute Nacht.«
Linda nickte. »Das ist wahr.«
»Ich kenne keinen hier, der so gut operiert wie sie«, fuhr die OP-Schwester fort, während sie ihre Instrumente sortierte. »Und vor allem niemanden, der in einer solchen Situation noch die Nerven behält.«
Nachdem sie den Patienten umgelagert hatten, zog Linda sich in die Umkleidekabine zurück. Sie ließ ihr Oberteil und die Hose in den Wäschesack fallen und streifte ihre Schuhe ab. Erst jetzt merkte sie, wie verschwitzt sie war. Sie brauchte dringend einen Moment Pause.
Erschöpft setzte sie sich auf die Bank vor ihrem Spind, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Was für eine Nacht! Etwas weniger Aufregung hätte es auch getan. Aber Herr Opaterny hatte überlebt, das war die Hauptsache. Und es war viel knapper gewesen, als Linda vorher gedacht hatte. Theoretisch hatte sie gewusst, wie gefährlich eine Milzruptur sein konnte, aber in der Praxis hatte es sie dann doch kalt erwischt.
Linda tat ein paar tiefe, gleichmäßige Atemzüge und versuchte ihren Herzschlag, der immer noch zu schnell ging, etwas zu beruhigen. Alexandra hatte es also wieder einmal geschafft. Sie war einfach eine
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