Mit Herz und Skalpell
abbringen. »Apropos Alexandra. Wie war es denn eigentlich in München?«, hakte sie nach.
Linda verknotete ihre Finger. »Och . . .« Ihre Wangen begannen zu glühen. »Der Vortrag ist gut gelaufen.«
»Der Vortrag?« Yvonne musterte sie kritisch. »Das freut mich für dich. Aber . . .« Sie machte eine vielsagende Pause. »Das hatte ich eigentlich nicht gemeint.«
Linda seufzte. Irgendetwas musste sie Yvonne antworten, aber was? »Sonst gibt es nicht viel Erwähnenswertes«, log sie und hoffte dabei inständig, dass ihr Gesicht nicht ganz so leuchtend rot war, wie es sich anfühlte. So schnell sie konnte, wechselte sie das Thema: »Ich muss jetzt mal wieder zurück auf die Station. Aber wir sehen uns nachher, ich habe Nachtdienst.«
Linda war gerade dabei, endlich etwas von ihrem Salat zu essen, als erneut das Diensttelefon klingelte. Seufzend legte sie die Gabel zur Seite und fischte es aus ihrer Kitteltasche. Es schien an diesem Abend wirklich kein Ende zu nehmen. Dienste wären nur halb so schlimm, wenn man ab und zu mal seine Ruhe hätte und zumindest zum Essen käme.
Die Nummer der Überwachungsstation blinkte im Display.
»Du solltest dir dringend den jungen Mann auf Zimmer zehn ansehen«, kam die Schwester direkt zum Punkt. »Der rauscht mit dem Druck ab.«
»Herr Opaterny?«, fragte Linda.
»Ja, genau. Der wird wirklich schlecht.« Die Schwester klang hektisch. Im Hintergrund war das Piepen der Monitore zu hören.
»In Ordnung, ich komme.«
Als Linda nach einem kurzen Sprint in das Zimmer von Herrn Opaterny stürmte, sah sie sofort, dass es dem jungen Mann tatsächlich nicht gut ging. Blass und apathisch lag er in seinem Bett. Sie ließ ihren Blick über die Krankenunterlagen schweifen, die direkt am Fußende des Bettes lagen. Die eingetragenen Blutdruckwerte waren immer niedriger geworden, während der Pulsschlag sich beschleunigt hatte. Das war kein gutes Zeichen.
»Herr Opaterny?«, sprach Linda ihren Patienten an.
Nur mühsam öffnete er die Augen.
»Wie geht es Ihnen?«
Zur Antwort bekam sie nur ein Stöhnen.
»Holst du mir bitte das Sonogerät?«, wandte sie sich an die Krankenschwester, die die ganze Zeit mit im Zimmer gestanden hatte.
»Natürlich.« Sofort verließ die Schwester den Raum.
Linda schlug die Bettdecke zur Seite. Äußerlich hatte der Bluterguss sich nicht verändert. Aber schon als Linda nur ganz leicht auf Herrn Opaternys Bauch drückte, reagierte er mit einer schmerzverzerrten Grimasse.
»Verdammt«, murmelte Linda. Es sah nicht gut aus.
Kurz darauf war das Ultraschallgerät einsatzbereit. »Ich muss mir noch einmal Ihren Bauch angucken«, erklärte Linda dem Patienten, während sie das Gel auf seinem Bauch verteilte.
Sie setzte die Schallsonde auf. Sofort erkannte sie auf dem schwarz-weißen Bildschirm, dass der Milzriss und das Blut im Bauchraum deutlich zugenommen hatten. Damit war klar, warum der Kreislauf des Patienten schwächer wurde.
In wenigen Worten erklärte sie Herrn Opaterny den Befund. »Ich werde nun meine Oberärztin anrufen und alles mit ihr besprechen, dann kann ich Ihnen sagen, wie es weitergehen wird«, schloss sie. Der Patient reagierte mit einem angedeuteten Nicken.
Linda verließ das Zimmer und wählte Alexandras Nummer. Alexandra hatte in dieser Nacht Hintergrunddienst, das hieß, sie war die zuständige Oberärztin. Linda wusste, dass sie noch im Haus war, und rief sie daher auf ihrem Diensttelefon an.
»Hallo, Linda«, begrüßte Alexandra sie.
Linda hielt sich nicht mit Formalitäten auf. »Hallo, es gibt ein Problem mit Herrn Opaterny. Er ist kreislaufinstabil geworden. Ich habe ihn noch mal geschallt, die freie Flüssigkeit hat deutlich zugenommen.«
Ohne zu zögern antwortete Alexandra: »Gut, dann müssen wir operieren. Ich gebe im OP Bescheid, bring den Patienten bitte hoch.«
»Möchtest du dir den Patienten vorher nicht noch mal ansehen?«, fragte Linda nach.
»Ich vertraue dir.«
Diese Worte ließen Lindas Herz höher schlagen. Ein größeres Kompliment hätte Alexandra, die sonst immer alles kontrollieren musste, ihr kaum machen können.
»Wir sehen uns im OP«, setzte Alexandra noch hinzu.
Linda stutzte. »Aber ich habe doch Notaufnahmedienst. Brigitte Schiller hat OP-Dienst.«
»Ich weiß, aber ich will dich im OP dabei haben. Ich werde Brigitte anrufen und ihr mitteilen, dass sie ab sofort die Notaufnahme übernimmt.« Klick. Alexandra hatte aufgelegt und Lindas Widerspruch im Keim erstickt.
Linda presste
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