Mit jedem Herzschlag (German Edition)
gestohlen hat, zurückgegeben. Er glaubte, die Typen in der Nachbarschaft würden ihn beklauen, doch in Wirklichkeit war ich das. Ich tat das, um ihm den Arsch zu retten.“ Er lachte, aber ohne jeden Humor. „Oh Mann, ich war der vollkommene kleine Helfer und Co-Abhängige. Damals kannte ich diesen Begriff nicht einmal. Ich war Rafes schlimmster Feind – von ihm selbst einmal abgesehen.“ Er wandte sich ihr wieder zu. „Sicher, dass du noch mehr hören willst?“
Carrie nickte. In seinen Worten meinte sie, die bittere Wahrheit zu hören. Sie wollte ihm tatsächlich glauben.
„Rafe und ich haben acht Jahre so durchgehalten. Abhängiger und Co-Abhängiger“, setzte Felipe hinzu. „Dann, in dem Sommer, in dem ich siebzehn wurde, rief einer der Detectives der örtlichen Polizeistation ein soziales Projekt ins Leben, das Kindern wie mir helfen sollte. Und indirekt damit auch Kindern wie Rafe.
Zu der Zeit hatte Rafe schon eine kleine Polizeiakte. Nichts wirklich Großes. Er hatte ein paar Verwarnungen kassiert, sonst nichts. Trotzdem zählte dieser Detective, Jorge Gamos, eins und eins zusammen: Rafes Polizeiakte und das, was offensichtlich im Viertel geschah. Gamos ging tatsächlich auf die Straße und verbrachte seine Freizeit mit den Kindern. Er lernte uns kennen. Er erkannte, dass Rafe Drogen nahm, und er sah auch, unter welchem Druck ich stand. Der Druck war damals ganz schön hoch. Ich war siebzehn – und benahm mich wie ein Fünfundvierzigjähriger. Seitdem Rafe das erste Mal Crack genommen hatte, war ich kein Kind mehr gewesen. Jedenfalls verstand Jorge Gamos, was los war, und schloss völlig richtig, dass mein Bruder ohne meine Unterstützung nicht so lange auf der Straße überlebt hätte.
Gamos brauchte fast ein Jahr. Doch schließlich brachte er mich dazu, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen, bei der er mitarbeitete. Eine Selbsthilfe- und Beratungsgruppe für Kinder, die einen Bruder oder eine Schwester durch Drogen verloren hatten. Das war … Es hat mir die Augen geöffnet. Besonders als er mir sagte, dass ich am Ende genau dort landen würde. Bei diesen Kindern. Und über meinen Bruder Rafe sprechen würde. Meinen toten Bruder Rafe.“
Carrie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm vertrauen zu können. Aber vermutlich hatte er sich die Geschichte nur ausgedacht. Eine gute Geschichte war es allemal. „Ist Rafe gestorben?“, hörte Carrie sich fragen, als gäbe es ihn wirklich. Als hätte Felipe wirklich wegen der Drogen seine Kindheit verloren.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. „Noch nicht. Ich habe ihn de facto an die Polizei ausgeliefert. Irgendwann kam er zu mir und brauchte ein Alibi, aber ich war nicht länger bereit, für ihn zu lügen. Er wurde verurteilt, musste acht Monate absitzen und machte in der Zeit einen Entzug. Als ich ihn im Gefängnis besuchte, dankte er mir für meine Hilfe. Er schwor, nie wieder Crack anzurühren. Er war clean und wollte es auch bleiben. Damals besuchte ich die Polizeischule. Ich wollte Polizist werden. Gemeinsam mit Jorge Gamos gelang es mir, für Rafe eine vorzeitige Haftentlassung zu erreichen.“
Felipe schüttelte den Kopf. „Raphael landete praktisch sofort auf der Straße, und schon nach wenigen Wochen nahm er wieder Drogen. Das brach mir fast das Herz. Er hatte mich reingelegt, um schneller aus dem Gefängnis zu kommen. Seine Entschuldigung, alles, was er zu mir gesagt hatte, war nichts als ein Haufen Scheiße gewesen. Nichts davon hatte er ernst und ehrlich gemeint. Nichts.“ Er lachte bitter auf. „Natürlich landete er wieder im Knast. Aber nachdem er mich so betrogen hatte, war ich nicht mehr bereit, Verantwortung für ihn zu übernehmen. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Soweit ich weiß, ist er bereits eine ganze Weile draußen. Jorgebehauptet, er sei jetzt wirklich clean. Er leitet ein Rehabilitationszentrum und arbeitet als Berater für Abhängige und ehemalige Häftlinge. Ich habe gehört, dass Berater, die selbst abhängig waren und im Knast saßen, besonders mitfühlend sein sollen. Oh Mann, wahrscheinlich ist er der Beste in dem Job, weil er das Ganze gleich zweimal durchgemacht hat.“ Felipe beugte sich vor und wollte die Klimaanlage höher drehen. „Wir sind übrigens auf dem Weg zu ihm.“
Carrie blinzelte überrascht. „Du meinst … jetzt?“
„Ja. Wir fahren zu Raphaels Rehazentrum.“ Felipe musterte sie aus geheimnisvoll dunklen Augen. „Mein Bruder schuldet mir noch den einen oder
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