Mit Jockl nach Santiago
schütteren Pinienwald ein feines Plätzchen für unser Nachtlager. Gebettet auf weichem Piniennadelboden und eingeschwert von den Folgen einer schamlosen Freßorgie, mit der wir unser Leben in freier Wildbahn feiern - und das diesmal ohne Moskitos. Zu kratzen haben wir trotzdem genug.
Die Ruhe und Ungestörtheit weitab jeden Verkehrslärms, dazu die Kühle, die anhält bis die Sonne ihren Weg durch die Bäume findet, bringen uns lange nicht aus den Federn. Und so richtig munter werden wir ohnedies erst in Cuellar, der ersten Stadt auf unserem Weg durch die Provinz Segovia. Nach einer 20 Kilometer langen, einlullenden Fahrt gelingt es dort dem strahlendhellen Mauerwerk des Castillos Beitrán, unsere bislang andauernde Betäubtheit zu durchdringen. Seit dem 15. Jahrhundert bewacht es von einem Hochplateau die Geschehnisse der Stadt Cuellar. Genaugenommen besteht die Burg äußerlich aus einem rechteckigen Block mit runden Ecktürmen, verstärkt von einem massigen Hauptturm, mit Zinnenkränzen als obersten Abschluß, die wohl mehr verzieren, als je einer Verteidigung gedient haben. Auch im Innenhof entfaltet sich höfische Eleganz in Form einer zweigeschossigen Säulengalerie im Stile bester Renaissance und kehrt die äußere Strenge und Schlichtheit in ein dekoratives Gegenteil. Einige Neuerungen ungeschehen gemacht und der Geist des 15. Jahrhunderts ließe sich problemlos heraufbeschwören. Ihre Bekanntheit verdankt Cuellar jedoch weniger ihrem Castillo als ihrer Ernennung zu einer Hochburg mudejarer Baukunst. Die Türme ihrer zahlreichen Kirchen Prägen das Stadtbild wie die Wohntürme des italienischen San Gimignano. Allerdings wird man bei näherer Besichtigung enttäuscht feststellen, daß meist nur noch der Begriff »mudejar« die Jahrhunderte unbeschadet überdauert hat. Cuellar macht einen ausgesprochen desolaten Eindruck, als wir im Bremsschritt von der Burg das steile Gassengefälle zur Unterstadt hinuntermarschieren. Dabei entdecken wir die herrlichsten Fassaden, edel und von vornehmer Ausstrahlung, doch alle wie von einem zerstörenden Virus befallen. An der kleinen Plaza Mayor lenkt nur ein bunter Wochenmarkt von Mauerschäden und Verwahrlosung der Häuser ab. Auch die als Highlight angepriesene Kirche San Esteban besitzt nur mehr in Ansätzen und Resten mudejare Schmuckheit in einer Wildnis aus Unkraut und etwas Sperrmüll Zu manchen Orten paßt eine gewisse Hinfälligkeit, die den Reiz oft sogar noch erhöht, doch in Cuellar stößt sie ab. Noch dazu wo jedes dritte, vierte Gebäude mit der weihevollen Aufschrift »Historie Monumento« gesegnet ist, als wolle man damit des ruinösen Zustand des Bauwerks entschuldigen. - »Des Plumpsklo bei meina Oma woa a a historik Monumento, oba des woa bessa beinond ois wia de gonzn Stoanahaufn!« - »Kumm, gemma wida zu unsam historik Jockl auffi!« - Ungeachtet dessen versteht es Cuellar sich werbewirksam zu vermarkten. Diesbezüglich haben wir uns in der gepflegten Atmosphäre des Rathauses eine kleine Ausstellung einer Auswahl an Plakatentwürfen für eine neue Werbekampagne angesehen - wirklich kreative Leute, die hier eine anregende Mischung aussagekräftiger und auch ausgefallener Ideen zu Papier gebracht haben.
Das war denn auch die einzige und letzte Abwechslung des heutigen Tages. In langen Schweigestunden kriechen wir auf der C112 nach Cantalejo. Das empfundene Schneckentempo liegt an der recht eintönigen Landschaft mit riesigen Getreidefeldern, auf denen Erntemaschinen ihre staubaufwirbelnden Bahnen ziehen. Zwischendurch geben uns Kieferwälder, an deren Stämme unter Einkerbungen Auffangbehälter zur Harzgewinnung hängen, auf viele Kilometer Deckung doch keinen Schatten. Bis Cantalejo fahren wir wie in Trance, durch nichts abgelenkt - nichts, das unser zweieinhalbstündiges Dauergähnen kurzweiliger gestalten könnte. Auch Cantalejo bietet nichts nach unserem Geschmack, außer einem überraschend gut geführten Campingplatz, den wir uns mit wenigen Gästen teilen.
Anderntags erwartet uns mit Pedraza ein ganz besonderer Leckerbissen, den wir uns in einem Ausflug südlich von Cantalejo zu Gemüte führen wollen. Die 20 Kilometer dorthin verlangen gutes Sitzfleisch, denn wir befahren reinste Waschbretter, die uns sogar an der Richtigkeit unseres Weges zweifeln lassen. Im Geiste sehen wir uns schon vor einer Ackerfurche umdrehen. Dafür fächelt uns ein mildes Lüftchen durch die Haare und die Landschaft tischt allerlei Köstlichkeiten auf.
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