Mit Jockl nach Santiago
zurückblicken, die viele Jahrhunderte infolge von Landflucht auf einem mittelalterlichen Level stagnierte und die Stadt in weltferner Rückständigkeit gefangen hielt. Heute wirkt Soria immer noch ein wenig provinziell, aber das soll dem Besucher nicht zum Schaden sein. Neben ihren zahlreichen Kunstdenkmälern zeichnet die Stadt eine angenehme Atmosphäre aus, Grund genug für ein längeres Verteilen - in unserem Fall für zwei Tage.
Am Campingplatz außerhalb des südlichen Stadtrandes kitzelt unser Auftritt den Campingboß zu erfrischenden Lachsalven. Eindeutig sieht er in uns eine Spezies reisender Komiker. Und immer wenn ich ihm über den Weg laufe, verzieht sich sein Mund zu einem breiten Von-Ohr-zu-Ohr-Grinsen.
Wir hingegen haben weit mehr Anlaß zu grenzenlosem Grinsen, als uns der Voggenauer Franz am nächsten Tag mitteilt, daß unsere Reifen bereits im Anrollen sind. Unter Wolfgangs Strahlen schmilzt fast die Telefonzelle, aus der er Franz punkto Stand der Dinge anruft und postwendend die tolle Nachricht erhält. Noch vor einem Jahr hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir einen überdrehten Glückstanz prophezeit hätte, den ich wegen einer Anlieferung von Traktorreifen aufführen würde - ausgerechnet Traktorreifen! Ja, die Bedürfnisse, Wünsche und Glücksauslöser ändern sich manchmal sehr schnell.
Leichten Schrittes schweben wir durch die Stadt, geimpft mit neuem Schwung, den wir bis zum späten Nachmittag auf unseren Wegen kreuz und quer durch Soria ausnützen. Höhepunkte bilden dabei zweifellos die Kathedrale San Pedro mit einem der schönsten romanischen Kreuzgänge Spaniens, die romanische Fassade der Kirche Santo Domingo mit ihren zweigeschossigen Blendbogenreihen beiderseits eines reich figurierten Portals - und schließlich das Zugpferd der Stadt, das unter anderem auch den Ausschlag für die Routenwahl über Soria gab: San Juan de Duero, ein ehemaliges Kloster des Tempelritterordens. Dazu überqueren wir den Duero am östlichen Stadtrand, wo das Kloster auf einem schmalen Streifen zwischen Fluß und Berge vom übrigen Stadtbetrieb abgeschottet eine eigene Welt darstellt. Trotz Besucher umfängt uns bereits beim Zugang unter einem schattigen Blätterdach klösterliche Stille, dazu mischt sich beim Betreten des, über die Grenzen hinaus berühmten, Kreuzganges sprachloses Staunen. Das Meisterwerk eines fantastisch kombinierten Stilemix besteht aus einer unregelmäßigen Abfolge von Rund-, Hufeisen- und ineinander verflochtenen Spitzbögen und gilt in seiner Art der Verknüpfung romanischer, gotischer und mudejarer Elemente als einmalig. Die kreative Verspieltheit des Säulenumganges findet im Inneren der Kirche einen nüchternen, jedoch nicht minder ansprechenden Ausgleich, der einen neutralen Hintergrund für eine kleine Ausstellung bildet. Resümee: Auch San Juan findet Einzug in unseren persönlichen Pantheon erlesener Kulturgüter, mit denen Kastilien, die Wiege Spaniens, so unermeßlich reich gesegnet ist.
Unlustig packen wir unseren Hausstand ein. Am liebsten würde ich mich des ganzen täglich aufs neue zu verstauenden Krempels entledigen. Das Zelt tropft vor Taunässe und einiges Publikum beobachtet neugierig unsere Abreisevorbereitungen. Alles keine Gründe zum Auffegen, trotzdem steht mein Gereiztheitspegel auffallend hoch, und jedes Wort aus meinem Munde will kontrolliert sein, daß es mir nicht in der falschen Tonlage entschlüpft. Die Kinderschar unserer Mitcamper quengelt und kreischt schon seit dem frühen Morgen pausenlos, daß mir bald jede antiautoritäre Erziehung den Buckel runterrutschen kann und ich gute Lust hätte, den Bälgern ein paar Deftige zu langen. Und den genervten Eltern? - die mit ihren hundertfachen Bitten, dieses und jenes zu unterlassen gar nichts bewirken, sondern sich dem hausgemachten Terror mit überstrapazierten Stimmbändern ergeben. Um auf einem Campingplatz einen Erholungstag zu verbringen, muß man schon gut erholt sein, um diesen auch halbwegs gelassen zu überstehen.
Endlich wieder Straßenlärm um die Ohren, dazu Jockls gewohnter Radau. Beides zusammen inhaliere ich nach der Lärmbelästigung am Camp wie ein Raucher seinen Qualm. Leider verspricht die heutige Tour schon beim Blick auf die Straßenkarte eine Geduldsprobe zu werden - eine nahezu menschenleere Sierra-Monotonie. Sie beginnt einige Kilometer nach Soria und läßt uns die Minuten zu Stunden und die Stunden zu halben Tagen werden, von der sich allmählich
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