Mit Jockl nach Santiago
spannt, in dem sich zwischen grünen Inseln der Abendbimmel spiegelt, bleibt unvergessen.
Kurz vor 21.00 Uhr laufen wir nach einer halben Seeumrundung endlich am Campingplatz von Banyoles ein. Unter einer Wolke von Grilldüften und ungezählten Beobachtern orten wir schließlich ein bescheidenes Plätzchen, Marke Steinacker, für unser Lager. Wie man in solch einem Aufeinandergehocke, Gedränge und Lärm seine Freizeit verbringen kann, stößt bei mir nach wie vor auf Unverständnis. Aber scheinbar lieben es die Leute, sich auf einem Campingplatz all jenen Einschränkungen und Störungen auszusetzen, die sie zuhause keine fünf Minuten erdulden würden.
Kein Lufthauch beunruhigt die blaue Spiegelglätte des Banyoles-Sees, als wir das letzte Teilstück unserer Spaniendurchquerung angehen. Auch in der Stadt Banyoles glättet eine schwül-schwere Sonntagsstimmung jeden Anflug einer möglichen Regung. Unter den Arkaden und dem dichten Platanendach des Hauptplatzes tanken wir die Ruhe, nach der wir uns in der letzten Nacht vergeblich gesehnt haben - Weekendpartys waren angesagt und deshalb nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für einen ungestörten Schlaf. Jetzt, wo noch fast alles an den Folgen übermütiger Sommernachtsturbulenzen erschöpft darniederliegt, geistern wir durch die leerhallenden Gassen, die zu dieser Stunde außer uns nur flink an den Mauern entlang huschenden Katzen gehören. Wir packen das Bild einer schläfrigen Kleinstadt mit in unseren Erinnerungskoffer und tauschen die Schattenkühle gegen die Elendshitze eines neuen Tages. Auf einer Verbindungsstraße durch letzte wellige Bergausläufer überqueren wir bei Esponellá noch einmal den Río Fluviá und treffen 14 Kilometer vor Figueres wieder auf die von Besalú kommende N260. Spätestens hier wird bei einem Blick zurück klar: Wir rollen endgültig aus der Bergwelt hinaus und hinein in die Niederungen der Mittelmeerküste. Über dem östlichen Horizont wölbt sich ein milchiger Himmel, und nichts Auffälliges verrät dort die begehrten Strände der Costa Brava. Dabei sehe ich im Geiste bereits Tausende Menschenleiber in besten Sonnenölen - solchen, die sofort die Poren schließen - zu knusprigem Braun schmurgeln. Eine Duftwolke aus Kokosnußmilch, Nußölen und sonstigen Gerüchen synthetischer Bratfette steigt in den Himmel und trägt die Kunde zufriedener Sonnenkonsumenten über das Land. Costa Brava, das Sammellager aller, die ihre Langeweile etwas südländisch aufpeppen möchten, ohne ganz auf den heimatlichen Mief zu verzichten. Nirgends kristallisieren sich typische Merkmale und Wesenszüge einer Nation besser heraus, lassen sich besser erfassen als gerade im Ausland; leider oft Grund genug zu peinlicher Berührtheit, wenn man feststellen muß, daß die größten Krakeeler, Anmacher, Widerlinge und Angeber dem eigenen nationalen »Kulturkreis« angehören. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel - selbstverständlich nicht jeder, der an den sonnigen Gestaden irgendwelcher überlaufener Küsten seinen zuweilen hartverdienten Urlaub verbringt, paßt in die Schablone »Drei Wochen Vollfressen auf Gran Canaria«, »Vierzehn Tage Club-Kindergarten Mediterranee« oder »Eine Woche Tripper-Roulette in Bangkok«. - Nur zu, jeder soll sich nach seinen besonderen Neigungen und Vorlieben beglücken.
Derweil ich am östlichen Horizont nach einem blauen Streifen Mittelmeer Ausschau halte, nähern wir uns Figueres. Wie viele Städte ihrer Größe umgibt auch sie eine einzige Katastrophe architektonischer Scheußlichkeiten, in ihrem Fall sienarote Wohnsilos, angesichts deren aggressiver Farbe das Blut schon in Wallung gerät. Architekten sollten dazu verpflichtet werden, in ihren gemauerten Kopfgeburten eine ausreichend lange Zeit zu verbringen, um zu lebensqualitativeren Einfällen zu gesunden oder sich darin aufzuhängen. Jeder Fuchs lebt angenehmer und »artgerechter« als Familien in diesen grotesken Zeitgeist-Mahnmalen. Aber egal, wie Figueres auf den einzelnen wirkt oder ob überhaupt, der Stadt ist ihre alljährliche gewinnbringende Touristenschwemme gewiß. Seit Salvador Dalí mit seinem genialen Irrsinn bzw. seiner irren Genialität - das eine mag das andere zeitweise aufgehoben haben - die Welt der Künste in surrealistischer Weise bereicherte, genießt die Stadt als Wiege des Meisters sakralen Stellenwert unter seinen Anhängern und Verehrern. Im ehemaligen Teatro Principal, dem heutigen Dalí-Museum, kann der Besucher eine Reise
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