Mit Jockl nach Santiago
von der Senora des Hauses angemessen verabschieden zu können.
Noch am frühen Morgen stelzen wir wie Störche durch die aufgeweichte, nasse Wiese. Hinter dem Camp steigen vom Río Ter Nebelschwaden auf, und es dauert einen halben Vormittag, bis wir in dieser Waschküche einen Durchblick bekommen. Auf einer Pferdekoppel neben dem Campingplatz toben ein paar Pferde ihren Übermut aus, springen, wiehern, schnauben und schütteln ihre dunklen Mähnen, drängeln sich dann wieder einträchtig am Zaun und verfolgen neugierig die Geschehnisse in ihrer Nähe.
Bei strahlend blauem Himmel machen wir uns nach Ripoll auf. Noch einmal genießen wir bei einem Milchkaffee am Platz vor der Abtei die herrlichen Proportionen des Bauwerks samt dem ansehnlichen Glockenturm mit seinen paarweise übereinander angeordneten Rundbogenfenstern an jeder seiner vier Seiten Für das »wenige«, das die Stadt zu bieten hat, treffen wir verhältnismäßig viele Touristen, vorwiegend Deutsche, Niederländer und Franzosen, auch einige Italiener. Selbst die Strecke zwischen Ripoll und dem östlich gelegenen Olot beanspruchen viele Ausländer. Die kurvenreiche N260 windet sich mit heimatlichen Ausblicken durch den Waldreichtum der Sierra de Puig Estela. Die Natur formt sich zu kitschigen Kalenderbildern, besonders nach dem 1120 m hohen Coli de Cannes. Silberdisteln, schwarze Beeren reifen Hollunders, sowie eine klare und auf Schattenseiten der Hänge trotz Mittagszeit noch relativ frische Luft lassen ganz leise erste Herbsttöne erklingen. Wolfgang macht sich seit Jahren über meine verfrühten Herbstgefühle lustig; selbst wenn sich im Frühling irgendwo ein Blatt vom Baum löst, heißt es: »Recht host, Herbst wiads!«
Die Stadt Olot mag wohl einiges bieten, uns bietet sie nur eine komplizierte Stadtausfahrt, und es benötigt ein mehrmaliges Kartenstudium bis wir endlich wieder auf richtigen Pfaden unterwegs sind. Rund neun Kilometer weiter erweist sich, hoch über einem Steilabfall zum Río Fluviá thronend, der Ort Castellfollit de la Roca als nicht alltäglicher Augenschmaus. Die äußere Häuserreihe des Dorfes schließt praktisch mit der Felskante ab und verleiht ihm ein verwegenes, wehrhaftes Aussehen, während auf dem östlichsten Felszacken die Pfarrkirche für ein klein wenig dekorativen Glanz sorgt, ihr Turm als mahnender Fingerzeig erhoben, sich nicht weiter als ihre Gemäuer über den Abgrund hinauszuwagen.
Allmählich werden die Berge niedriger; die Ebene kündigt sich an und mit ihr knallige Hitze, in der wir auf einem Feld unser Zelt trocknen lassen und Wolfgang sich mit einigem Ärger unserer kränkelnden Blinkbeule annimmt. Nur ein paar Kilometer weiter nötigt uns derselbe Defekt erneut zu einer geschlagenen, einstündigen Pause. Das Werkzeug fliegt, die Laune auch. Kurz bevor wir am Straßenrand verdampft sind und Wolfgang »des Scheißglumpat« mit einem Tritt ins Feld befördern will, gelingt ihm mit endloser Geduld und Improvisation ein technisches Gesellenstück - der Motor surrt wie ehedem. Für wie lange wohl?
Eine halbe Stunde später läßt uns Besalú den Ärger bald vergessen. Der gesamte Ort steht unter den Fittichen des Denkmalschutzes. Er wacht über eine fast theatralische Kulisse, in der sich um einen großen Hauptplatz romanische und gotische Profanbauten reihen, deren mittelalterliches Bild von der romanischen Kirche Sant Pere bestimmt wird, einem schlichten, wuchtig-breiten Bau, den ein gedrungener Turm überragt. Leider erweckt die Stadt, wie so viele denkmalgeschützte Orte, einen unverkennbar sterilen Eindruck, pedantisch gekehrt und aufgeräumt, immer für Besuch präsent, immer als schöner Blickfang einer Auslage. Besalú verkörpert in so augenfälliger Weise die Perfektion schlechthin, daß man selbst in den vor Jahrhunderten aus rundgeschliffenen Flußsteinen errichteten Mauern eine gewollt produzierte Unregelmäßigkeit erkennen möchte; die damals entstandene Anordnung und Übereinanderschichtung verschieden großer Steine scheint angesichts der Wohlgefälligkeit in allen Gassen mit einem Male kein Zufall mehr zu sein. Völlig zu unrecht natürlich, doch in der bis zur Leblosigkeit arrangierten »Bühne« drängt sich der Gedanke zwangsläufig auf. Den einzig echten Pluspunkt erringt der Ort von außen besehen, als wir Besalú in Richtung Banyoles verlassen. Der Blick auf die erhöhte Stadt, zu deren Füßen sich eine mit Zollturm ausgestattete gotische Brücke Uber den breiten Río Fluviá
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